Adrien Liechti - hinter dem Berg

Immer wenn der Langstrecken-Radrennfahrer Adrien Liechti draußen mit dem Rad unterwegs ist, scheint er voll in seinem Element zu sein. Er ist ein wirbelndes Phänomen der Ausdauer und Geschwindigkeit. Wir verbrachten zwei Tage mit ihm in der Nähe von Genf, wo er wohnt, wenn er nicht gerade an Rennen rund um die Welt teilnimmt.

Hallo, kannst du dich bitte vorstellen?

Ich bin Adrien Liechti, bin 37 Jahre alt und komme aus der Schweiz. Für ein paar Jahre habe ich in Genf als Fahrradbote gearbeitet, doch jetzt bin ich Vollzeit-Bikepacker. Ich fahre Langstrecken-Mountainbikes und bin seit vier oder fünf Jahren unterwegs. Es ist kein Job, es ist eine Leidenschaft. Ich verdiene kein Geld dabei, brauche dafür aber eine Menge Zeit. Folglich kann man wohl sagen, dass dies meine Hauptbeschäftigung ist.

Was macht dir Spaß an diesen Touren, die du unternimmst und bei denen du tagelang fährst, ohne viel Schlaf zu bekommen?

Ich genieße es wirklich, mit dem Rad zu reisen und andere Menschen zu treffen. Außerdem mag ich es, an meine Grenzen zu gehen und bin immer begierig darauf zu sehen, was es hinter dem nächsten Berg zu entdecken gibt. Es geht darum, eine Verbindung zur Natur aufzubauen. Auf diesen langen Rennen, die über zwei bis drei Tage andauern, fahren, essen und schlafen wir nur. Es ist das pure Existieren. Wir sind wirklich mit der Natur verbunden, und draußen zu schlafen ist Teil davon. (Er lacht.)

An was erinnerst du dich bei den Rennen am liebsten?

Vielleicht an das, was in diesem Jahr bei der Tour Devide passiert ist, als die Airline mein Fahrrad eine Woche vor dem Rennen verloren hatte. Ich bat in den sozialen Medien um Hilfe und duzende Leute boten mir ihre Unterstützung an, und so auch Manu. Er erlaubte mir, eines von seinen Bikes zu leihen. Wir kämpften während des gesamten Rennens. Schließlich wurde er Zweiter und ich Dritter auf dem Fahrrad, das er mir geliehen hatte - eine fantastische Erinnerung.

Welches war das härteste Rennen?

Das Silk-Road-Mountain-Race in Kirgisistan. Es ist zwar nicht das längste Radrennen, weil wir aber auf großer Höhe fahren weit entfernt von den Städten und von jeglicher Zivilisation wird einfach alles komplizierter. Hier gilt es auf 1800 Kilometern Mountainbiking 40 000 Höhenmeter zu überwinden. Ich brauchte dafür acht Tage. Es ist ein Einzelrennen ohne Unterstützung. Man hat nicht das Recht, sich von den Ortsbewohnern helfen zu lassen. Man darf zwar an alle öffentlich zugänglichen Plätze und in die Geschäfte gehen, aber es ist nicht erlaubt, an die Türen von Ortsbewohnern zu klopfen.

Diese Regeln werden von denen, die Rennen fahren, sehr stark respektiert. Hierbei muss man wissen, dass die meisten Teilnehmer nicht wirklich Rennen fahren. Sie wollen nur irgendwie ans Ziel kommen, was an sich schon eine Herausforderung ist. Doch die ersten 10 bis 15 respektieren diese Regeln absolut. Wir kennen uns alle, sind wie eine kleine Familie und sehen uns bei jedem Wettkampf rund um die Welt. Zwischen uns gibt es einen starken ethischen Pakt.

Wie bereitest du dich auf ein Rennen wie das Silk-Road-Mountain-Race vor?

Die Vorbereitung der Routenkarte ist sehr wichtig. Sobald die Karte verfügbar ist, lade ich sie auf etlichen Applikationen herunter. Ich suche generell nach Geschäften und ihren Öffnungszeiten. Auf der Seidenstraße in Kirgisistan waren sie sehr schwer zu finden. Ich bereite den Speiseplan komplett vor und darüber hinaus improvisiere ich. So oder so, wird es nie nach Plan verlaufen. Lediglich einige Stunden vor der Ankunft buche ich Übernachtungsmöglichkeiten, denn man kann nie im Vorfeld wissen, wie ein Rennen verläuft, man kann auch nicht, den eigenen Fortschritt anhand des eigenen Durchschnittstempos vorausberechnen.

Wie schaffst du es zu fahren, ohne zu schlafen?

Ich habe es geschafft für 55 bis 60 Stunden wach zu bleiben. Es ist möglich, fühlte sich aber nicht gut an. Deshalb ziehe ich es seit einiger Zeit vor, ein paar Stunden zu schlafen, um dadurch schneller fahren zu können und das Rennen zu genießen. Bei der French Divide machte ich nur ein kleines Nickerchen und fuhr nach 800 Kilometern im Rennen zu einem Hotel. Ich sah eine Stadt auf der Karte, an deren Namen ich mich nicht erinnern kann und buchte ein Hotel zwei Stunden vor meiner Ankunft. Als ich dann in der Stadt war, kaufte ich etwas zu Essen und zu Trinken, checkte in meinem Hotel ein, duschte, aß und schlief für drei Stunden. Diese Art von Rennen entscheidet sich nicht auf dem Rad, sondern es ist vielmehr das Management der Pausen, der Nahrung und des Schlafs.

Welche Eigenschaften muss man haben, um ein Rennen über 2200 km wie die French Divide zu gewinnen?

Man sollte ein guter Mechaniker auf dem Rad sein, man sollte alles auf der Strecke essen können und Entscheidungen trotz fortgeschrittener Müdigkeit fällen können. Besonders bei der French Devide geht es darum, sein Fahrrad gut hantieren zu können, da die Strecke technisch ziemlich anspruchsvoll ist. Es gab eine Menge Felsen, Abfahrten und technisch herausfordernde Anstiege.

Wenn man im Technischen nicht gut ist, muss man fast alles zu Fuß bewältigen. Ich für meinen Teil fahre nicht besonders schnell, aber ich halte seht wenig an. Ich schaffe es weiterzufahren, und das ist meine Stärke.

Wie viele Kilometer fährst du pro Jahr? Wie trainierst du?

Das kommt darauf an. Ich denke, es sind 25 000 bis 30 000 km pro Jahr inklusive der Rennen. Als ich Fahrradkurier war, habe ich nicht trainiert, da ich unter der Arbeitszeit 500 km pro Woche fuhr. Jetzt mache ich Interwall-Training jedoch nichts besonders Geplantes. Ich fahre komplette Anstiege hier in der Nähe von Genf und danach bin ich zufrieden. Ich muss nicht wirklich lange Distanzen fahren, um mich gut zu fühlen.

Glaubst du, dass du spezielle physische Fähigkeiten besitzt?

Ich denke, ich habe besonders viel Rennerfahrung. Das Management von Schlaf ist etwas, das erlernt und ausgearbeitet wird. Man trainiert den Körper und Geist, ein bis zwei Stunden … zu schlafen und legt auch Powernaps ein. Es funktioniert in etwa so wie bei den Seglern, die ihren Schlaf managen, wobei jede Sekunde zählt. Wenn ich Radrennen fahre, halte ich am Ende der Straße an, lege mich hin, stelle einen Wecker und wache für gewöhnlich 2 Minuten vor dem Alarmsignal wieder auf. Dann fahre ich weiter. Es macht Spaß, das zu tun!

Braucht man für jedes Rennen ein spezielles Bike?

Meine Spezialität ist das Off-Road-Radrennen, und doch kann jedes Rennen verschieden sein. Man benötigt unterschiedliche Reifengrößen, oftmals wird man nicht ohne Federung auskommen. Man wird einen Flat-Lenker oder einen Rennrad-Lenker brauchen. Ebenso wird man verschiedene Taschen brauchen, abhängig davon, was man mit sich führt.

Bei der French Devide in der Mitte des Sommers hatte ich zum Beispiel fast nichts dabei, da das Thermometer 35 °C anzeigte. Auf einem Rennen wie dem Silk-Road-Mountain-Race wog mein Fahrrad 25 Kilo, da man hier Essen mitnehmen und bei minus 15 °C schlafen muss. Das erfordert eine Menge Kleidung …

Was folgt als Nächstes?

In diesem Jahr steht noch die Rhino Road an, die ich zusammen mit meiner Partnerin als Duo fahren werde. Wir dürfen einander nicht verlassen. Man muss miteinander kommunizieren und wissen, dass man manchmal Dinge sagt, wenn man erschöpft ist, die man nicht sagen sollte. Das wird interessant werden …

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