Auf Gravel-Tour im Lone Star State

Vor ein paar Monaten hörte ich eine Geschichte im Radio über Probleme mit Flugzeugen, die in den Himmel zurückkehrten. Seitdem der Flugverkehr zunimmt und die Passagiere sich langsam wieder in die Welt der internationalen Reisen begeben, haben viele Piloten begonnen kleine Fehler zu melden, zumeist prozesstechnischer Natur, nichts besonders Gefährliches – trotzdem aber Fehler. Die Ursache: Fehlende Praxis. Es scheint, dass mit weniger Flügen und langen Perioden abseits des Steuerknüppels die Erinnerung an muskuläre Feinabstimmungen der Piloten schwand. Wer rastet, der rostet, wie man sagt.

So kam es, dass wir zu meiner ersten Bikepacking-Reise seit Ausbruch der Pandemie aufbrachen – Physisch bereit, mental vorbereitet, allerdings wohl etwas schwächer in den Dingen, die die Feinheiten von Erfahrung und Routine angehen. Wir wählten einen Zielort aus, den wir einfach mit dem Auto erreichen konnten (in Bezug auf die jüngsten Verkehrsberichte: dankbarerweise). Wir packten ein und fuhren sieben Stunden von Austin in Texas zu der wohl abgelegensten Stelle unseres großen Staates und machten ein paar Stopps, um fehlende Teile unserer Ausrüstung zu kaufen, die wir wie erwartet zu Hause gelassen hatten.

Vieles kann über Westtexas gesagt werden, mit seinen kleinen Städten, die von der Zeit vergessen wurden und auch von wilden, weiten Landschaften, jedoch sind zwei Dinge unbestreitbar wahr: Vertraue niemals der Wettervorhersage und vertraue niemals Leuten, die Ihnen sagen, dass Sie der Wettervorhersage trauen können. Wir kamen in der Dämmerung an unserem Zeltplatz an, von dem aus wir die Geisterstadt Terlingua mit einer Bevölkerung von 110 überblicken konnten. Die kalte Luft schien sich mit dem dunkler werdenden Himmel zu überschneiden. Unser Plan war unkompliziert: David und ich würden bei Sonnenaufgang aufstehen und losfahren, um uns Campingerlaubnisse für den Big Bend Nationalpark zu sichern. Dann würden wir zurück zum Camp fahren, um drei weitere Mitglieder unserer fünfköpfigen Gruppe zu treffen. Zusammen brächen wir anschließend zu einer viertägigen Tour auf und würden von einer Stelle des Parks zur anderen navigieren, die primitiven Wege genießen sowie die Gravel-Pfade, die uns erwarteten.

Theoretisch wussten wir, dass es heiß wird und ich meine richtig heiß. Alle, ob nun die texanischen Ureinwohner oder die, die hier seit ein paar Jahren gelebt haben und auch wir sind mit der feurigen Seite der texanischen Temperaturen vertraut. Die Wettervorhersage meldete, dass es warm wird, allerdings nicht übertrieben warm. Natürlich, wie wir freundlich und doch bestimmt von dem Park Ranger erinnert wurden, als wir unsere Genehmigungen beantragten, erzählen die Ziffern nur einen klitzekleinen Teil der Geschichte. Die Sonne erzählt den Rest. Nachdem wir die Fragen des Rangers über die Route, Kenntnis und Wasserrationen zu genüge beantwortet hatten, machten wir uns auf den Weg zurück ins Camp mit den Erlaubnissen in der Hand und wurden von einer Art Vorahnung im Nacken begleitet sowie offiziellen Warnungen und schnellansteigender Hitze.

Unser erster Fehler kam gleich zu Anfang. Als wir die Räder bepackt hatten und losfuhren, bogen wir vom Hauptweg durch Terlingua auf einen schmaleren County Weg mit Schotterbelag ab. Diese Strecke sollte uns entlang der Minen und Berge führen und belebte Highways meiden, während wir uns unseren Weg zu der nördlichen Ecke des Nationalparks bahnen. Leider hatten wir die Land-Gier der örtlichen Texaner unterschätzt und stießen früh auf ein „no trespassing“, ein „Zutritt verboten“-Schild, begleitet von einem lilagestrichenen Pfosten direkt auf unserem Weg also mitten auf einer öffentlichen Straße. Gerüchte über die bezweckte Bedeutung von lila gemalten Pfosten gibt es zu Hauf, wobei die legale Bedeutung kurzer Hand lautet: „betreten verboten.“ Wie aber jede örtliche Legende Ihnen sagen wird, ist die „wahre“ Bedeutung der lila Pfosten etwas viel Schlimmeres: Erst schießen, dann fragen. Wir entschieden uns dagegen, uns hier weiter aufzuhalten, um diese Wahrheit zu testen und gingen zu Plan B, der direkteren Highway-Route über. Der Umweg, obwohl er schön war, kostete uns mehr als eine Stunde und zusätzliche 25 km an diesem Tag. Das ist nicht besonders schlimm, doch bedeutete dies, der Mittagshitze noch länger ausgesetzt zu sein.

Nach einem kurzen Stopp, um Wasser aufzufüllen, erreichten wir eine Serie kurzer, steiler Anstiege. Was die ganze Sache noch schwerer machte, waren unsere schwer beladenen Fahrräder sowie die jetzt sengende Sonne und die frisch gepflasterte Straße. Die Herzraten schlugen in die Höhe, und schon nach Kurzem verloren wir ein Mitglied unserer Gruppe. Es war Robs erste vollbeladene Bikepacking-Tour, und er fühlte bereits die ersten Anzeichen von Überhitzung. Als wir uns dem Point of no Return näherten, schlugen seine Selbsterhaltungs-Instinkte als junger Vater ein, und er traf die (absolut kluge) Entscheidung zurückzukehren, das Auto zu schnappen und uns am Zeltplatz Nummer eins zu treffen.

Pedaltritt, Pedaltritt, Schluck… Pedaltritt, Pedaltritt, Schluck…Man konnte nicht schnell genug trinken, um sich ausreichend mit Wasser zu versorgen. Trotz der Anstrengung und der Hitze zeigte beunruhigender Weise niemand von uns irgendwelche Anzeichen von Schweiß. Wir pausierten kurz beim nächsten Fleckchen Schatten, tranken noch mehr Wasser und aßen salzige Sbacks. Dann fuhren wir weiter. Der Highway lag hinter uns, als wir über den knirschenden Schotter eines Landwegs ratterten. Wir redeten weniger und langsam und verwandelten unsere vielen Liter Wasser in eine temporäre Erleichterung bevor sie schließlich unsichtbar von unserer Haut in die Atmosphäre verdunstete.

Achtzig Kilometer weiter, als wir den heißesten Teil des Tages erreicht hatten, machten wir ein kurzes Nickerchen in einem knappen Stückchen Schattens neben einem Müllcontainer. Dieser befand sich an der Abzweigung der Terlingua Ranch Road zu dem Gravel-Pfad, der uns offiziell in den Nationalpark führen würde. Zu diesem Zeitpunkt waren wir mehr Sonnencrème als Menschen, und jeder hatte mehr als die Hälfte seiner Wasserreserven verbraucht. Allerdings lagen nur noch 50 km bis zu unserem ersten Zeltplatz vor uns, und die Temperaturen begannen endlich zu sinken. Und noch besser - als wir wieder anfingen auf einer schönen Gravel-Strecke zu fahren, tauchte Rob aus einer Staubwolke in seinem strahlendweißen SUV auf und brachte Wasser mit sowie die Zusicherung, dass wir in die richtige Richtung fuhren.

Wir bezwangen die letzten Kilometer unter der untergehenden Sonne, als Rauch von Lauffeuern weit hinten am Horizont aufstieg. Unser Zeltlager war mit einem kleinen Platz mit Campingwagen in der Nähe von Big Bend verbunden. Diese waren als Zusatzunterkunft für den Zustrom von Besuchern außerhalb der Stadt an Wochenenden der Spitzensaison gedacht. Erleichtert darüber, dass wir den ersten Tag geschafft hatten, bemerkten wir schnell, dass wir noch nicht alle Probleme hinter uns waren. Trotz unserer enormen Anstrengungen und dem ständigen Trinken erlitt Mike, ein Radrennfahrer der Kategorie 2 und überhaupt ein sehr starker Fahrer, eine schwere Dehydrierung mit zu niedrigen Sodium Werten. Schnell überkamen ihn Wellen von Übelkeit und Ganzkörper-Krämpfen. Ein Aufenthalt im Krankenhaus, das über eine Stunde entfernt lag, wurde für Ihn unausweichlich. Dort musste er die Nacht verbringen, während eine Serie von Infusionen seinen Elektrolythaushalt wieder zurück auf normale Werte brachte. Folglich waren wir nur noch zu dritt.

Als wir am nächsten Morgen aufwachten, wussten wir, dass wir eine neue Route planen mussten. Die Wettervorhersage blieb ähnlich trügerisch, und obwohl unser ursprünglicher Plan für den zweiten Tag mit einer weiteren Wasserpause endete, würde dieser Plan uns in eine Position bringen, in der wir für Tag drei und vier für fast 200 Kilometer keine garantierte Wasserversorgung hätten. Dieses Risiko wollten wir nicht länger eingehen. Anstelle entschieden wir uns für eine direktere Route, die über 100 km auf größtenteils gepflasterten Straßen durch den Park zurück zu unserer Ausgangsstelle verlief. Dort könnten wir uns neu gruppieren und für die nächsten zwei Tage planen. Nachdem wir unsere Vorräte im Laden des Camps auffüllten und den Anteil unserer Elektrolytgetränke verdoppelten, fuhren David, Natalie und ich zurück auf die kurze Schotterstraße zum Park, wobei wir den Gravel-Pfad umfuhren, auf dem wir gekommen waren. So genossen wir den ebensten Asphalt den sich öffentliche Mittel leisten können.

Gegen Mitte des Morgens begann die Sonne wieder zu brüten, und mit einem Übermaß an Vorsicht machten wir häufiger Pause, tranken mehr und saßen im Schatten, wann immer wir ihn fanden. Wir fuhren über ein paar sanfte, gleichmäßige Anstiege zum Zentrum des Parks, als David und ich die Hitze spürten. Natalie fuhr weiter. Ihr schien die Hitze nichts auszumachen. Etwas über die Hälfte der Route hinaus und in der Nähe einer Kurve unweit der Ranger Station, an der wir am Vortag unsere Genehmigungen abholten, legten wir unsere geplante Mittagspause ein. Wir saßen an einer kleinen Werkstatt. Mittlerweile hatte Rob Mike aus dem Krankenhaus abgeholt. Sie kamen vorbei als wir aßen und Gurkensaft tranken, um die immer drohenden Krämpfe abzuwehren. Wir luden ein paar Taschen in das Auto und erleichterten unsere Last für die verbleibenden 50 Kilometer. Schließlich fuhren wir wieder los, als die Sonne ein wenig nachgelassen hatte.

Von Panther Hill nach Terlingua geht es meist bergab. Wir waren froh über den Rückenwind und darüber den heißesten Tagesabschnitt überstanden zu haben. Als wir aber am Zeltplatz ankamen, waren wir noch viel glücklicher darüber, dass unsere frischgebackene Support Crew bereits die Zelte aufgeschlagen hatte. Wir genossen eine gute Mahlzeit und eine entspannte Nacht um das Lagerfeuer herum.

Eine Wolkendecke begrüßte uns zum Sonnenaufgang und war für uns ein willkommener Anblick. David, Natalie und ich entschieden uns für eine Tour, die südwärts in den Park verlief und dem Old Maverick Road, dem alten Rebellenweg in den Süden in Richtung Rio Grande und dem Santa Elena Canyon folgte. Rob und Mike entschieden sich hingegen für einen klimatisierten, komfortablen Weg zurück nach Austin. Also verabschiedeten wir uns und folgten unseren getrennten Wegen. Die Gravel-Pfade des Old Maverick waren waschbrettartig und holprig, jedoch von einem atemberaubenden Panorama umgeben. Unter einem gnädigen, kälteren Himmel holperten wir dahin, bis wir auf die hohen Wände von Santa Helena trafen, die über Jahrhunderte von einem unerbittlichen Fluss herausgespült wurden, der heute die Grenze zwischen der USA und Mexiko bildet.

Der Pegel, des Rio war niedrig, also wanderten wir flussaufwärts in den Canyon hinein. Santa Elena ist eine der größten Sehenswürdigkeiten des Big Bend. Folglich gab es eine Menge weiterer Touristen, allerdings nicht zu viele. Ein paar fragten uns und ermutigten uns. Ein freundlicher Mann teilte seine Muffins und sein Wasser mit uns. Die Wolken waren unterdes größtenteils verdunstet, jedoch blieb die Temperatur erträglich. Wir begannen unseren Weg in den Norden zurück nach Terlingua zu holpern. Unser Camp war stiller mit lediglich uns dreien, aber verglichen mit der Hitze der vergangenen zwei Tage, war der dritte Tag wirklich zu genießen. Wir waren glücklich hier zu sitzen und erinnerten uns zurück an die Entscheidungen, die wir getroffen hatten. Da gab es sowohl die guten als auch die schlechten Entscheidungen, die uns aber letzten Endes dahin geführt hatten, wo wir jetzt waren.

Die guten Entscheidungen waren einfach aber bedeutend: Wir haben alle regelmäßig Sonnenschutzmittel aufgetragen und konnten so einen Sonnenbrand vermeiden. Wir haben für die Katastrophe geplant und immer eine Option B und C für den Fall der Fälle als Backup-Plan zur Verfügung gehabt. Wir haben immer so viel Wasser mitgenommen, wie wir tragen konnten und es geschafft niemals komplett ohne Wasser dazustehen. Wir hörten bei Anzeichen auf unsere Natur und blieben auf der sicheren Seite unserer Limits.

Gewiss aber haben wir eine schlechte Entscheidung getroffen. Wir haben eine Sache gemacht, vor der wir immer gewarnt wurden. Wir haben uns mit Texas angelegt und Texas schlug zurück.

Zu guter Letzt, obwohl wir alle einen guten Anteil an Turbulenzen abbekommen haben und wir zu ein paar unerwarteten Neuplanungen gezwungen wurden, so ist doch die muskuläre Feinabstimmung zurückgekehrt, und wir fanden auch unseren Weg zu einer ganz anderen Angelegenheit, indem wir eine letzte gute Entscheidung trafen und die Reise beendeten. Wir verließen den Park an Tag vier, packten das Auto und fuhren nach Marfa, um die besten Burritos in West Texas zu essen. In Bezug aufs Fliegen, die motorische Feinabstimmung und Burritos: Das Fliegen soll man den Vögeln überlassen.

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