COMER SEE

Genau da, wo die lombardische Tiefebene auf die italienischen Alpen trifft, liegt der Lago di Como, der Comer See. Er ist der drittgrößte See Italiens und wahrscheinlich der berühmteste. Unterhalb der erhabenen Berge sind an seinem Ufer zahlreiche Villen angesiedelt und bieten berüchtigten Aristokraten und Filmstars ein Zuhause.

Doch hinter der glamourösen Seeseite liegen Wege, die zu Hunderten wunderschönen Verzweigungen führen, die alle mit dem Fahrrad erreichbar sind. Als ob zwei große Hände die jeweiligen Verzweigungen darstellen würden, verlaufen tausende Strecken in die tieferen, weniger bekannten Gebiete. Durch Wälder, Ebenen und versteckte italienische Dörfer, findet sich sicherlich eine Route für jeden.

Als Heimat des berühmten Herbstrennens, dem Giro il Lombardia mit vielen italienischen Radsportprofis, die diese Gegend als ihr Trainingsgelände betrachten, ist diese Region von dem Erbe des Straßenradsports regelrecht durchtränkt. Tatsächlich gibt es hier eine Kapelle, die den einstigen Helden des Sports gewidmet wurde, die Madonna del Ghisallo, die am Pass des gleichen Namens liegt. Wenn schon der Schutzpatron des Radsports hier residiert, fühlt man sich als Fahrer im Allgemeinen willkommen, während man von den freundlichen ortsansässigen Motorradfahrern genauso wie von Profi-Teams überholt wird.

Die beiden größten Städte am See, Como und Lecco, sind leicht per Zug oder Auto sowohl von Bergamo als auch von Mailand erreichbar. Wir entschieden uns für eine der kleineren und zentraleren Städte, und so erklärten wir Derivo zu unserer Basis. Alle Städte entlang des östlichen Seeufers sind an das Streckennetz der Bahn angeschlossen, wodurch sich uns noch mehr Möglichkeiten eröffnen.

Alpe Giumello

Obwohl die Alpe Guimello mit ihren 1600 Höhenmetern einer der höchsten Punkte ist, den man auf befestigter Straße in der Gegend vom Comer See erreichen kann, bleibt die Alp ein verborgener Schatz. Wir beginnen den Tag im italienischen Stil mit einem Kaffee in unseren Händen und der Sonne in unseren Gesichtern. Zögernd setzen wir uns auf unsere Sattel und fahren entlang der Uferlinie nach Bellano. Genau am nördlichen Ende der Stadt biegen wir vom Wasser ab, direkt in eine Serie von Haarnadelkurven.

Mit jedem Meter weitet sich die Aussicht, und als wir uns der Spitze nähern, können wir bis zum nahegelegenen Luganersee und den 4000 m hohen Gipfeln des Monte Rosa blicken. Als wir am Pass der Alpe Giumello ankommen, lediglich 250 m unweit des Gipfels, fühlt es sich gut an, den 1330 m hohen Anstieg geschafft zu haben. Deshalb entscheiden wir uns dafür, es uns bei einem traditionellen Brasato al vino con polenta (einem Schmorbraten in Rotweinsoße mit Polenta) in einer der Alpenhütten gutgehen zu lassen, bevor wir tiefer im Hinterland abfahren. Auf unserem Weg zurück kommen wir an zahlreichen am Berg gelegenen Dörfern vorbei und gelangen in den Genuss weiterer Haarnadelkurven, die in der Abendsonne baden, während uns bei der Abfahrt nach Dervio eine atemberaubende Aussicht auf den See vergönnt ist.

Maloja & Bernina

Der Maloja Pass ist die Hauptstraße, die die Schweizer Stadt Sankt Moritz mit der italienischen Gemeinde Chiavenna verbindet. Deshalb leidet die Strecke im Vergleich zu den alternativen Bergpässen dieser Region an mehr Verkehr. Nichtsdestotrotz ist es ein unglaubliches Erlebnis, auf dieser Bergstraße den Pass zu überqueren, denn in ihrem Verlauf hat sie eine atemberaubende Veränderung der Landschaft und der Kultur zu bieten.

Wir brechen bei Sonnenaufgang von Derivo auf und lassen den See hinter uns, während wir in Richtung Norden fahren. Im Schatten ist die Luft kühl, doch als wir den Hauptfluss Adda überqueren und in das Valtellina-Tal hineinfahren, grüßt uns der Sonnenschein sowie ein starker Gegenwind, der von den Bergen ins Tal zieht.

Nach einem Kaffee, einem Croissant und einer schnellen Fahrt über die Kopfsteinpflasterstraßen von Chiavenna setzen wir unsere Tour nach Maloja fort. Wir fahren an mehreren kleinen Dörfern entlang der Straße vorbei, die langsam ihr Aussehen verändert und von einer typisch norditalienischen Straße in eine Straße mit mehr Schweizer Ästhetik übergeht. Die Straße windet sich und verläuft nun in engen Spitzkehren. Kurz darauf erreichen wir Maloja Kulm und erhaschen einen atemberaubenden Blick zurück ins Tal.

Mit der Sonne im Rücken fahren wir durch Sankt Moritz zu unserem zweiten Anstieg dieses Tages, dem Berninapass. Lediglich 600 Höhenmeter stehen zwischen uns und der Spitze, die sich wie nichts anfühlen im Vergleich zu den 2000 m, den unsere Beine schon absolvierten. Als die Sonne sich hinter den umliegenden Gipfeln senkt und der Himmel sich purpurn färbt, beeilen wir uns, den 2000 m Abstieg nach Tirano zu schaffen, wo wir den Zug zurück nach Derivo nehmen. Ein langer Tag steckt in den Beinen, doch die Erholung kommt in Form einer heißen Pizza und kalten Bieren.

Bellagio & Brunate

Wir richteten unsere Aufmerksamkeit gen Süden und packten unseren Sinn zum Erkunden mit in unsere Jersey-Taschen. So fuhren wir entlang des Seeufers nach Varenna. Hier schauten wir uns kurz um, bevor wir an Bord der Fähre nach Bellagio gingen.

Hier fing unsere Hauptroute an, die uns schließlich hoch nach Brunate, einer kleinen Stadt direkt oberhalb von Como bringen sollte. Wir fuhren über hügelige Straßen, während die Sonne in unseren Gesichtern uns den Winter vergessen ließ und wir unterdessen unsere Route entlang des Seeufers fortsetzten. Wir fuhren in Richtung Süden und durchquerten Casate, Nesso, Riva sowie Tono, um nur einige der zahlreichen Enklaven entlang der Strecke zu nennen, bevor wir schließlich in der Stadt Como ankamen.

Da Como allein schon einen Besuch wert ist, entschieden wir uns dafür, uns umzukucken, bevor wir den vergleichsweise kleinen Anstieg hinauf nach Brunate mitsamt seinem Leuchtturm angingen. Während wir durch Como einschließlich seiner Gassen und Piazzas fuhren, erhaschten wir immer wieder einen Blick auf unser Ziel im Osten hoch oberhalb der Stadt. Da wir so nah waren und es doch so steil nach oben ging, bedeutete dies nur eines: eine Menge Spitzkehren und äußerst steile Straßen. Schnell hielten wir für eine Motivationspizza an.

Jede Biegung brachte uns höher nach Brunate hinauf, obwohl wir niemals wirklich die Gebäude und Residenzen hinter uns ließen. Der Abschluss mit etlichen Stufen hoch zum Turm veranlasste uns auf dem Weg zur Spitze unsere Räder zu schultern. Von hieraus eröffnete sich die gesamte Region, und so kann man an guten Tagen wahrscheinlich sogar die Dufourspitze sehen. Da die Sonne in diesen Wintertagen schnell untergeht, wandten wir uns rasch der Talfahrt zu, die uns durch das Dorf Civiglio über sehr schnelle Straßen bis zurück nach Como führte. Von hieraus nahmen wir den Zug zurück nach Dervio.

Colma di Sormano

Ein maximaler Steigungsgradient von 27 % und das Erklimmen von 300 Höhenmetern auf weniger als 2 Kilometern – das ist die Muro di Sormano. Doch diese Tour zu bestreiten, erwies sich als so viel mehr als nur nackte Zahlen. Wir entkommen dem emsigen Morgenverkehr in Lecco an der östlichen Küstenlinie. Ein harscher Gegenwind wendet sich zu einem Rückenwind, während wir in die Richtung der Stadt Asso abbiegen.

Wir fahren abseits der Hauptstraße nach Asso hinein und erleben eine wundervoll authentische norditalienische Stadt mit Kopfsteinpflastergassen und Cafés an jeder Straßenecke. Wir rollen mit unseren Rädern weiter hinauf durch Rezzago und Caglio und halten direkt vor der Muro di Sormano an, um uns mental auf das, was kommt, vorzubereiten. Die „Wand“ ist für ihre störrisch steilen Hänge bekannt, und wir nehmen zusammen einen tiefen Atemzug, bevor wir uns auf sie einlassen und uns aufwärtsbewegen.

Nur ein paar Meter weiter stehen wir bereits auf den Pedalen und kämpfen um jede Radlänge. Jeder Meter ist großzügigerweise mit Graffiti markiert, und sogar die Höhe steht direkt auf der Straße geschrieben. Wir fahren über weitere Künste von bewundernden Radsportfans, motivierenden Worten sowie Namen und Zeiten von Radsportlegenden, die hier Rennen bestritten haben. Ein Durchfahrtstor am Ende markiert die Spitze dieses brutalen Anstiegs und erfordert von uns einen Blick über die gesamte Region, während wir nach Luft schnappen.

Eine schnelle Abfahrt bringt uns zurück in Richtung Norden hinein nach Nesso, wo sich unser Weg über Haarnadelkurven bis herunter zum See schlängelt, um sich dann weiter herunter in Richtung Bellagio zu winden. Dort angekommen, belohnen wir uns mit ein paar Aperitifs und beobachten den Sonnenuntergang über dem See, bevor wir die Fähre zurück nach Varenna nehmen.

Madonna del Ghisallo

Es würde sich einfach falsch anfühlen, in einem Radsport Guide über den Comer See den berühmten Anstieg Madonna del Ghisallo auszulassen. Folglich entschieden wir uns, Madonna del Ghisallo zu unserer letzten Route zu machen. Da Madonna del Ghisallo von Anfang an, also seit 1905 einer der entscheidendsten Anstiege beim Giro di Lombardia ist, gibt es hier normalerweise viele Radsportler, die alle die Kapelle am Gipfel besuchen.

Nach einem morgendlichen Kaffee in Bellagio brachen wir hoch zum Anstieg auf. Dieser fängt direkt an der Stadtgrenze an und führt über variierende Steigungsgrade zum südlich gelegenen Civenna, bevor man die abschließenden Haarnadelkurven zum Gipfel erreicht.

Von hieraus können Sie entweder die Hauptstraße durch Asso herunter zum Lago di Pussiano nehmen oder einen Umweg nach Barni fahren, wie wir es gemacht haben. Diese Route führte uns weiter hoch zum Ristorante la Madonnina di Barni, von wo aus wir über den östlichen Arm des Comer Sees bis nach Lecco fuhren. Diese Talfahrt brachte uns zunächst über eine steile Abfahrt nach Lasnigo. Dort ging es weiter über die Hauptstraße nach Asso. Als die Sonne begann unterzugehen, versuchten wir so gut wie möglich, die Hauptstraße zu vermeiden und bogen nach Civate ab, wo wir durch ruhige Straßen fuhren. Diese Route führte uns zu Santuario di San Martino, einer Kirche mit einem unglaublichen Ausblick über den See und die umgebenden Berge. Dies war ein kleines Abschiedsgeschenk, bevor wir zurück nach Lecco fuhren, um unseren Zug zu nehmen.

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