Ça peak – Dieser Gipfel
Der Mont Ventoux ist ein zweischneidiges Schwert, denn hier handelt es sich um den Mont Ventoux. Sicherlich mag die Casse Desérte, das Geröllfeld an der Südseite des Col d’Izoard, Sie an die oberen Hänge des Giganten der Provence erinnern, auch mögen die Wälder des Turini das gleiche Holz haben, jedoch ist der Ventoux alles miteinbezogen einzigartig. Der große Wald, der die unteren Hänge umgibt, diese Kalksteinfelsen am Straßenrand, diese rotweißen Masten und dieser perfekte Straßenbelag, der hinauf zu dem etwas surreal anmutenden Gipfel führt.
Dieser Gipfel ist nicht der Col de Ventoux, damit also kein Pass, und der Weg stellt nicht etwa die Verbindung zweier Täler dar. Nein, um von der einen Tal-Stadt in die andere zu gelangen, muss man vielmehr den Berg umgehen, als über ihn zu fahren. Deshalb ist dies Frankreichs einziger und größter, 1911m hoher Anstieg, der einzig und allein existiert, um ihn zu erklimmen.
Der Ventoux zieht die Radsportler an, wie ein gigantisches Licht Fliegen. Jedes der ihn umgebenden Städtchen, Malaucène, Bédoin und Sault, ist voll mit Radfahrern, Fahrradverleihen und Fahrradgeschäften - ein Fahrrad-Mekka.
Verglichen mit der Abgeschiedenheit und Ruhe auf den Straßen des nizzaischen Hinterlands ist dies, ehrlich gesagt ein Schock der Grundfeste. Radsportler…überall, Motorradfahrer…überall, Sportautos…überall und auch Campingwagen...soweit das Auge reicht.
Dennoch gibt es immer einen Weg den Massen zu entkommen. In diesem Fall ist es Gravel-Biking.
Auf der Liste des Clubs des Cinglés du Ventoux steht ein quartième Montée, ein vierter Anstieg. Wir haben allerdings eine andere Tour geplant, die von Bédoin aus nach oben und nach Malaucène herüberführt. Diese Tour beginnt sofort mit dem losen Gravel-Untergrund, der uns fast den gesamten Weg zur Spitze begleitet. Die Talfahrt findet dann auf sanftem Untergrund statt.
Das französische kartografische Institut wird abgekürzt IGN genannt, das Kürzel steht für “l'Institut national de l’information géographique et forestière'. “Forestière” ist eine erst kürzlich dazugekommene Ergänzung, die aber nicht unwichtig ist. „Les routes forestières“, die Waldwege gehören zur nationalen Infrastruktur. Sie werden von öffentlichen Mitteln finanziert und verschaffen Zugang zu Gebieten, die gelegentlich auch Privat sind. Auf dem Ventoux wird seit dem 13. Jahrhundert Forstwirtschaft betrieben. Hier waren die Waldwege wohl einst wichtiger als die ebeneren Straßen.
Wenn Sie mit dem Gravel-Bike unterwegs sind, können Sie die Waldwege als weiß umrissene Linie mit schwarzgepunkteten Außenlinien erkennen. Sie finden sie unter den Routes Nationales und den Routes Departementale sowie den Chemins Departementale. Danach schließlich kommen diese Pisten.
Eine Piste kann eine Vielzahl an Nebenwegsünden bedeuten: ein Pfad, eine Spur, eine Fahrrinne, zwei Fahrrinnen, eine Landebahn, eine Manege, wenn Sie so wollen… Theoretisch kann man die Pisten, die auf einer IGN-Karte verzeichnet sind, mit einem Gravel-Bike befahren - theoretisch. Es ist die unbekannte Konstante zwischen dem was auf dem Papier steht und der Wirklichkeit, die das Lesen von Karten zu einem viel interessanteren Ereignis macht, als es sich anhört.
Unbefestigt bedeutet, es gibt keine Garantien. Wenn man die Piste des Graviers blancs befährt, wird klar, dass das Wasser des Frühlingsregens alles durcheinandergebracht hat, indem es Kanäle voller Felsen gebildet hat, die definitiv nicht gut sind, um zukünftig der Schwerkraft zu trotzen. An den unteren Hängen ist es am schlimmsten.
Nach der ersten Serie an steilen, harten Serpentinen kommt rauer Asphalt in Sicht. Darüber ist Mylène so erfreut, dass sie vom Rad steigt und den Boden küsst. Dann pflückt sie eine Handvoll Thymian vom Straßenrand. Der Effekt für die Nase ist stärker als der eines Salbutamol-Inhalators. Das ist etwas Gutes, denn der Asphalt hört nach 100m wieder auf. Doch außer des Lachens hört man nichts, weil niemand da ist, noch nicht einmal Wanderer. Darum wählen wir Gravel.
Mit zunehmender Höhe verläuft die Piste immer länger am Berg entlang und führt immer tiefer in den Wald aus großen Zedern und Tannen. Lange Geraden bieten Sonnenlicht und Schatten zu gleichen Maßen. Wenn der Mistral nicht weht, veranlasst uns die berüchtigte Ventoux-Hitze die Seebrisen der Riviera umso mehr zu schätzen.
Schließlich gelangen wir an einen großen Carrefour, eine große Kreuzung von Pisten, die die Frage aufwirft wie viele Wege es eigentlich gibt, um den Berg über eine Gravel-Strecke zu erklimmen. Danach wird der Weg flacher und die Geschwindigkeit erhöht sich, aber leider auch die Anzahl der Wolken. Ein Bergdrama entfaltet sich vor unseren Augen.
Mit all diesen Ablenkungen naht das Ende der Piste schneller als erwartet, und es ist als würde man jetzt auf die Autobahn abbiegen. Radfahrer fahren in beiden Richtungen vorbei in teilweise nicht enden wollenden Zügen mit schmerzverzogenen Gesichtern, die nach oben schauen und mit großen Augen nach unten blicken. Ein Radsportler lehnt sich an eine Leitplanke und ruht sich nach seinem Sturz an der Ecke, an der der Schotter in den Asphalt übergeht, aus.
Die Gravel-Route, die in Bédoin begann, hat sich derart um den Berg gewunden, dass wir jetzt die letzten vier Kilometer auf der Seite von Malaucène hinauffahren. Auf der Strecke gibt es zumeist entschlossene Fahrer, jedoch fährt man in der Gesellschaft von allen möglichen Zweirad-Abenteurern: Rigiden Mountainbikern, Tourern und Liegeradfahrern.
Es herrscht eine besondere Atmosphäre auf dem letzten Kilometer zum Gipfel. Der ortsansässige Fotograf ruft auf der letzten, verbliebenen Serpentine aufmunternde Worte, während er Schnappschüsse schießt, von denen er hofft, dass sie ihm ein paar Euros einbringen. Allerdings ist es eine schöne Anerkennung der Anstrengung den Gipfel erklommen zu haben für jeden einzelnen Fahrer.
Für diejenigen auf den Gravel-Rädern ist es fast eine ungeschriebene Gipfel-Regel nicht da aufzuhören, wo der Weg endet. Andrea entdeckt eine einfache Fahrrinne hin zu dem berühmtesten aller Masten. Ihn zu sehen, wie er gegen die Steigung ankämpft mit losen Felsbrocken vor dem Hintergrund der riesigen Antenne, während Wolken an der Bergspitze vorbeiziehen, hat schon etwas Besonderes.
Um die Erfahrung eines Gipfelaufstiegs reicher, ist es jetzt an der Zeit, die 21 km lange Talfahrt auf einer kurvigen und perfekt asphaltierten Straße anzugehen. Allerdings ist die Luft gefüllt mit fliegenden Objekten. Mund zu, Brille auf, Pausen werden auf das Nötigste beschränkt! Dies ist eine Erinnerung daran, dass hier die Natur an erster Stelle steht und der Abenteuerplatz für Radsportler an zweiter.