Die Tour de France kehrt 2020 nach Nizza zurück
Viel zu lange musste die Promenade des Anglais auf die Rückkehr der Tour de France warten. 2020 ist das größte Rennen der Welt endlich zurück in Nizza, aber dieses Mal richtig.
Der kurze Ritt entlang des Mittelmeers wartet darauf ganze drei Etappen an der französischen Riviera zu starten, in denen die Planer der Tour eine regelrechte Demonstrationsfahrt von den Strecken eingebaut haben, die wir selbst fahren.
Der Grand Départ 2020 an der Promenade mag zwei Monate verspätet sein und jubelnde Fans vermissen, die an der Ziellinie mit tosendem Beifall warten. Doch die Schönheit am südöstlichen Zipfel Frankreichs und die diesige Radsport-Tradition werden das unheimliche Fehlen wettmachen.
Die Stadt wird das mächtige Klicken und Klacken der 176 Fahrer hören, die mit ihren Füssen am Start beider Etappen in die Pedale stampfen, bevor sie ins Hinterland hinwegrollen. Die erste Etappe wird ein Sprintfinish an der Promenade („La Prom“) miteinschließen, während die zweite Etappe eine ordentliche Bergetappe ist, die ihren Höhepunkt im Paris-Nizza-Stil am Col d’Èze haben wird. Für einen kurzen Augenblick wird sie an der Hauptstelle von Café du Cycliste am Port Lympia vorbeifahren auf ihrem Weg zu einem weitern Finish an der Küste.
Obwohl es lange her scheint, dass die Grand Boucle, wie die Tour de France auch genannt wird, den Süden besucht hat, hat sie hier bedeutende Geschichte geschrieben.
Durch die Innenstadt von Nizza fegte zuletzt 1981 ein regelrechter Regenbogen-Wirbelwind. In den schattigen Straßen winkte man dem Hauptfeld zu auf seinem malerischen Weg zur Champs Elysees.
Bernard Hinault, der Weltmeister, der schon zweimal das Gelbe Trikot gewann und gerade der weltbeste Radsportler war, raste bei dem 5,8 km langen Prolog die Startrampe herunter. Mit seinem steifen bretonischen Kinn machte er ein noch verbisseneres Gesicht als gewöhnlich.
Auf einem seidenblauen Gitane (Rennradmarke) trug er seine Casquette mit dem Schirm hinten. Zwölf Monate zuvor wurde dem Dachs der Hat-Trick durch eine Sehnenscheidenentzündung verwehrt, die ihm seine Führungsrolle streitig machte. Nun flog er mit einem Vorsprung von ganzen sieben Sekunden ins Ziel und eroberte das gelbe Trikot schon am ersten Tag seines größten, überwältigenden Tour-de-France-Triumpfes.
Hinault baute seinen Vorsprung bis Paris auf mehr als 14 Minuten auf den zweitplatzierten Lucien Van Impe aus. Lousion Bobet kann nur eine ähnliche Dominanz geplant haben, als er den Col de Turini in der 12. Etappe der Tour de France 1948 erklomm.
Die Tour-Organisatoren haben diesen 15 Kilometer langen, kräftezehrenden Anstieg mit eingebaut, um das Hauptfeld in der 2. Etappe ein wenig leiden zu lassen. Es war genau an dieser Stelle, an der Bobet vor 72 Jahren den Grundstein für seinen Etappensieg legte.
Damals fuhren die Fahrer in San Remo los und mühten sich die Küste herunter, bevor die Tour landeinwärts zum Turini führte. In diesen Tagen schleppten die Fahrer sich mit kraftfordernden Gangübersetzungen durch Europa und formten titanische Oberschenkel an Bord ihrer trägen Maschinen.
Als er über den 1607 m hohen Gipfel des Turini sauste, hatte Bobet Zeit Kräfte zu sammeln. Er schüttelte vier Mitfahrer ab, die mit ihm aus dem Hauptfeld ausgebrochen waren, als er über die Ziellinje in Cannes fuhr. Mit der gestoppten Zeit war er sieben Minuten schneller als der großartige Gino Bartali, der sich nach dem Sieg der ersten Etappe schwertat.
Es war an diesem Abend in Cannes als sich das Blatt wendete, als Bobet mit einem Vorsprung von 2 Minuten und 29 Sekunden vor dem Belgischen Star Roger Lambrecht führte und Bartali mehr als 20 Minuten insgesamt hinten lag.
Die Hoffnungen des toskanischen Idols schienen begraben, als ein einziges Telefonat sein Schicksal wandte. Ein Abgeordneter der Italienischen Demokratischen Partei erzählte Bartali, dass Spannungen in seiner Heimat zu eskalieren drohten und das Risiko für einen Bürgerkrieg bestand, nachdem auf den Generalsekretär der kommunistischen Partei ein Attentat verübt wurde.
„Ich werde es noch besser machen. Ich werde das ganze Rennen gewinnen“, soll Bartali darauf geantwortet haben. Er besiegte den jungen Bobet und erkämpfte sich seinen Weg bis zum Sieg in den nächsten drei Etappen. Schließlich fuhr er im gelben Trikot in Paris über die Ziellinie mit einem klaren Vorsprung, der mehr als 26 Minuten betrug.
Das waren auch die Zeiten lange vor den extremen Wetteraufzeichnungen und zwei Jahre nachdem Bartali ein fulminantes Comeback hatte, als in der Stadt Saint-Maxime, 100 Kilometer westlich von Nizza, sich der Schauplatz einer außergewöhnlichen Szene während der Tour ereignete.
1950 hatte das Hauptfeld samt Bartali, Bobet und dem großartige Schweizer Ferdi Kubler sowie dem belgischen Idol Stan Ockers einen zermürbenden Tag vor sich, an dem sie bei glühender Hitze von Toulon nach Menton fuhren.
Nachdem sie Saint-Maxime nach 81 Kilometern unter der heißen Sonne erreicht hatten, konnten die Athleten, die sonst der endlosen Brutalität in der Verfolgung ihrer Siegesambitionen ausgesetzt waren, die Hitze nicht länger aushalten.
Einer nach dem anderen löste seine Füße von den Pedalriemen und ging in Richtung Mittelmeer, um sich abzukühlen. Sie ignorierten den Renndirektor Jaques Gobbet, bevor sie schließlich den Wettkampf wiederaufnahmen. Jean Diederich schaffte es am besten und fuhr in Menton einen Sieg ein.
Das Radsport-Vorzeigerennen mied Nizza seit 2013, als Orica-Green Edge den Sieg in der Team-Zeitwertung in der vierten Etappe mit lediglich einer Sekunde Vorsprung vor Omega-Pharma-Quickstep holte mit einer enormen Anstrengung, die auf der Promenade hin und zurück führte. Jetzt ist die Strecke für eine weit unvergesslichere Wiederkehr in der 2020er Auflage bereit.
Während der Grand Départ sich an die Zeit anpasst, in der wir leben, wird unser Café offen sein. Der große Bildschirm wird angestellt und die Espressomaschine vorbereitet sein. Vive le Tour!