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RADFAHREN MIT ZWECK

Es gibt immer auch positive Geschichten, die die Welt in schlechten Zeiten ein wenig erhellen. Wie die Autofirmen, die Beatmungsmaschinen für Krankenhäuser herstellen, ein „Hackathon“ um Versorgungsengpässe auszubügeln und auch wie die berühmten Musiker, die Live-Shows aus ihren Wohnzimmern übertragen. Jedes Bisschen hilft.

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Letzte Woche erreichte uns eine WhatsApp-Nachricht von Kong Fufu, alias Cedrick Dubois, der sich auf dem Bildschirm zeigte. Sein örtlicher Apotheker, Thibault, fragte ihn, ob er Lust hätte ein Teil des medizinischen Lieferdienstes für ältere, gefährdete und isolierte Menschen in der Region um L’Escarène zu werden, das etwa 21 km nördlich von Nizza liegt. Natürlich gab es nur eine Antwort.

RADFAHREN MIT ZWECK

Wir treffen Cedrick draußen vor der Apotheke. Er muss warten, bis ein Patient, der in der Apotheke bedient wird, wieder herauskommt. Thibault ist offensichtlich ein Mann mit einem Sinn für Humor. An seiner Tür hängt ein Schild, das Pensionäre ermahnt, draußen zu bleiben und wenn möglich jüngerer Familienmitglieder zu schicken, vorzugsweise weiblich im Alter zwischen 24 und 30…

Wenn man die Apotheke betritt, sieht man die sichtbaren Hinweise auf den unsichtbaren Feind, dem wir alle begegnen. Thibault trägt eine Maske und steht hinter einem Tresen, auf dem eine hohe Plexiglasscheibe kleine Atemtröpfchen am Passieren hindern soll. Seine Kollegen befinden sich im Hinterzimmer und bereiten verschriebene Medikamente vor. Das mag vielleicht nicht an eine dieser apokalyptischen Krankenhausszenen erinnern, allerdings befindet sich die Apotheke in vorderster Linie und tatsächlich retten die Medikamente, die aus dieser Apotheke an Menschen geliefert werden, die sie brauchen, Leben.

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Die Apotheke beliefert Kunden, die in Tälern, Schluchten und auf kleinen Berggipfeln der Seealpen, in kleinen Weilern oder allein, teilweise völlig abgeschottet von der Zivilisation, leben. Manchmal muss man einen Schotterweg hoch, um nicht zu sagen, Wege, die zurzeit zum befahren, als zu riskant bewertet werden.

Thibault ist wie Cedrick ein Trail Runner und Radsportler und besitzt genauste Kenntnis über die Topographie der Region. Er weiß auch von der profunden Kenntnis Cedricks über alle verfügbaren Strecken und seiner Fähigkeit schnell Wege bewältigen zu können. Thibault wusste, er würde ihm helfen. Das ist Radfahren mit Zweck.

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Heute gibt es nur eine Lieferung zu einem Patienten in Peille, der an einer Lungenkrankheit leidet und daher zu den Hochrisiko-Patienten gehört. Verglichen mit gestern, ist das eine einfache Aufgabe: „Unter einer einzigen dreistündigen Schicht habe ich es geschafft, zu sieben Menschen vorzudringen und habe dabei eine Tour von 70km zurückgelegt und Steigungen von insgesamt 2000m bezwungen,“ sagt Cedrick. Die größte Überraschung war eine Lieferung an das Kastell vom Col de Braus. (Ja, in der Tat, es gibt ein Kastell am Col de Braus, einfach links, nach dem steilen Part, der den Berühmten Serpentinen folgt.)

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Cerdrick wählt einen unauffälligen Weg der L’Escarène mit Peille verbindet. Die Route de Très, die später zur Route du Col Banquettes führt, ist weniger bekannt, aber eine Favoritenstrecke der Einheimischen. Sie verläuft zwischen den Bergspitzen an der Nordseite des Col de la Madone. Ausgehend von L’Escarène führt der ansteigende Weg zunächst über Spitzkehren, die von Kiefern überdacht werden, aus dem Tal heraus. Auf einem Plateau geht es weiter durch einen Olivenhain, bevor der Weg sich an einem weiteren Anstieg über Serpentinen erneut nach oben schlängelt. Schließlich beginnt die Talfahrt in einer Dramatik verwechselbar mit der des Madone. Insgesamt dauert die Fahrt 45 Minuten und läuft in zwei Haarnadelkurven der Côte de Peille aus.

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Peille ist selbst zu Stoßzeiten eine ruhige Stadt. Heute könnte man eine Stecknadel fallen hören. Wir kommen an, überschreiten die obere Stadtgrenze und fahren über eine äußerst steile Strecke hinter der Stadt wieder heraus. Hier sind die Cul-de-Sac, die Sackgassen, die den abgelegenen Häusern der Stadt dienen. Oben zeigt der Beton horizontalverlaufende Bänder, und das kann nur eines bedeuten: Steigungsgradienten im Überfluss von 10 bis oft 15 Prozent.

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Am Ende des Chemins, des Weges, liegt unser Bestimmungsort und er ähnelt unserer Apotheke am Anfang der Reise – die menschliche Interaktion vergegenwärtigt die Lage, in der wir uns befinden. Cedrick schmeißt sein 7.000€ Gravel-Bike in die Hecke am Straßenrand, als wäre es ein wertloses Pendlerding und nimmt seinen Rucksack ab. Er ist konzentriert. Thibault war sehr deutlich in seinen Lieferanweisungen: “Nimm das Paket! Platziere es an der Vorderseite des Grundstücks und geh nicht weiter! Dann geh mindestens fünf Meter zurück, bevor irgendjemand erscheint! Ansonsten schaden wir mehr, als dass wir helfen.“

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Ein Ehepaar erscheint aus ihrem mittelhohen Ruhesitz in den Seealpen. Sie sind freundlich aber vorsichtig und tragen selbstverständlich Masken. Der Ehemann fragt, ob denn das Fahrrad elektrisch sei, weil der Weg nach oben so schrecklich steil ist. Da kennt er Kong Fufu nicht. Sie steht dahinter, ist nervös und trägt auch eine Maske. Sie hatte vor Kurzem eine Lungenentzündung. Die Hauptsorge des Paares gilt der Bezahlung der Bestellung. Cedrick entgegnet, dass dies kein Problem sei, denn Thibault hat das schon gelöst.

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Und comme ça, einfach so, ist der Job auch schon erledigt. Es ist eine Interaktion, die weil sie Kürze erfordert, so folgenlos erscheint. Cedrick wird niemals wissen, was vor oder nach der Lieferung geschah. Stattdessen fährt er nach Hause und kehrt schon morgen zurück zur Apotheke, um weitere Päckchen zu verteilen. Das ist das, was gerade getan werden muss. Sein Rad ist wieder das geworden, was seine Vorgänger einst waren: ein ultimatives Werkzeug, und zwar eins, das auf seine eigene kleine Weise eine große Hilfe ist.