Alba und Michele - vom Bauernhof zum Podium
"Es ist Mitte Juni 2022, und die Hitze in Sondrio, einer Stadt in den italienischen Alpen, etwa 30 km vom Comer See entfernt, wiegt schwer. Die Piazza Garibaldi ist der prallen Sonne ausgesetzt. Die kleinen engen Gassen jedoch, die mit der Piazza verbunden sind, bieten Schatten und eine unerwartete Frische, die von den kühlen Steingebäuden herrührt. Die rund zwanzigtausend Einwohner der Stadt leben meist im Herzen des Veltlins, andere leben am Berghang in kleinen Häusergruppen.
Mitten am Nachmittag bewegen sich in einem dieser kleinen Weiler zwei von Kopf bis Fuß in seltsamen weißen Overalls und Helmen gekleidete Individuen roboterähnlich unterhalb eines alten Bauernhauses aus Stein."
Auf einer Wiese, am Waldrand werden bunte Würfel nebeneinander auf dem Boden platziert. Unsere beiden „Raumfahrer“ sind ein paar Meter entfernt am Fuße eines Baumes beschäftigt. Ein dunkler Fleck auf einem der untersten Äste eines Baumes scheint das Zentrum all ihrer Aufmerksamkeit zu sein. Zu ihren Füßen liegt eine dieser farbigen Boxen. Diese Kisten sind, wie sich bei näherer Betrachtung herausstellt, Bienenstöcke und die beiden Humanoiden sind Imker. In der hohen Hitze entscheidet sich die gesamte Population eines Bienenstocks dafür, sich zu erheben und sich in den Ästen eines nahegelegenen Baumes niederzulassen.
Seit zwei Tagen setzen die Humanoiden die Honigbienen unter Druck, damit diese auch sicher nach Hause eilen. Ihre Technik ist ein bizarres Ritual für alle Neulinge, zu denen auch wir zählen. Wir beobachten die Szenerie ein paar Meter entfernt. Der Schwarm wird schließlich in einem Trakt zurück in den Bienenstock einfallen, um den Besitz dieses Hauses wiederzuerlangen, aber wann? Wer weiß das schon? Wir wissen jedoch, wer diese beiden Außerirdischen wirklich sind. Wir sind eher daran gewöhnt, sie in ihrem italienischen Nationalmannschaftstrikot zu sehen, mit dem sie an den größten Rennen der Welt teilnehmen. Als Imker sehen wir sie dagegen zum ersten Mal. Für diejenigen, die die Disziplin kennen, für diejenigen, die bereits Skibergsteigen ausprobiert haben, passt der Titel der Außerirdischen perfekt zu ihnen, denn sie dominieren den Sport im übermenschlichen Stil - nahezu nicht von dieser Welt.
Alba di Silvestro und Michele Boscacci zählen beide zum elitären Kreis bei den Terminen der Skimo-Events rund um die Welt. Wenn wir über ihren Erfolg sprechen, versuchen beide bescheiden, unsere Bemerkungen etwas herunterzuspielen - vielleicht, weil die Berge ihnen immer Bescheidenheit gelehrt haben, vielleicht, weil sie nicht mit ihren Leistungen prahlen wollen und glücklicher sind, wenn sie sich mit ihren Bienen beschäftigen. Diese beiden Athleten zeigen eine erstaunliche Gelassenheit: Alba und Michele teilen alles im Leben und so auch den gleichen Trainingsplan.
"Wenn wir in den Bergen laufen, starten wir zusammen. Doch nach einer Weile beschleunige ich und steige etwas höher auf als Alba, und später treffen wir uns wieder, wenn ich herunterkomme ...“, sagt Michele.
Weil wir sie ein Stück weit begleiten durften, als sie mit ihren Bikes das Stilfser Joch hinauffuhren, wissen wir, dass die beiden, gelinde gesagt, nicht gerade beim Training lachen. Michele erklärt uns, dass sein Vater, der ebenso berühmte Graziano Boscacci, sich immer noch um die körperliche Fitness Micheles kümmert."
"In meiner gesamten Karriere habe ich mich noch nie verletzt. Ich frage meinen Vater um Rat, wenn es Momente gibt, in denen meine Form nachlässt. Dann lockern wir das Training etwas. Wir reduzieren die Belastung, während wir darauf warten, dass die Müdigkeitsfase nachlässt."" Das ist einfaches Geheimnis eines unbestreitbaren Erfolgs. In der Weltrangliste ist Alba die drittbeste Skifahrerin und Michele ganz einfach der beste im Jahr 2022. Sie genießen großen Respekt."
Graziano, der Dorfschreiner gab nicht nur seine Leidenschaft für das Skibergsteigen an seinen Sohn weiter, sondern Michele erbte von ihm auch die Liebe zum Landleben. Vor sechs Jahren baute Michele einen Stall, in dem er drei Kühe untergebrachte. Aus den drei Kühen ist inzwischen eine kleine Herde geworden. Er ist stolz auf seinen Kleingarten und nimmt uns mit auf eine Tour durch die Scheune, in der seine prächtigen Tiere fressen.
"Im Winter, wenn die Wettkämpfe in vollem Gange sind, ist es Micheles Großvater, der sich um die Kühe kümmert.
Auch Alba widmet sich seit letztem Frühjahr ihrer Bienenherde. Nicht weniger als 11 Bienenstöcke stehen ihr zur Verfügung - genug, um für eine Produktion von etwas mehr als 200 kg Honig pro Jahr zu sorgen! "
"Eine Freundin fing an, Bienen zu halten. Ich mochte die Idee. Sie bot mir etwas Online-Training an, und meine neue Leidenschaft war geboren."
Das Ehepaar, das neben den Bienen und den Kühen lebt, bewirtschaftet 12 Hektar Land, das dem Anbau von Bio-Produkten gewidmet ist. Wenn wir Albas Lächeln am Steuer des Traktors sehen, verstehen wir, dass sie sich gut an dieses bäuerliche Leben anpassen. Ihre Bestrebungen als Landwirte scheint alles andere als ein Hindernis für ihre professionelle Sportkarriere zu sein. Es wirkt so, als sei es ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens und ein Ausgleich zum Sport.
In ein paar Monaten wird Schnee die Farm bedecken. Die Bienen von Alba werden sich dicht aneinanderdrängen, um die Temperatur im Bienenstock aufrecht zu halten und den Winter zu überleben. Die Kühe von Michele werden von den Weiden herunterkommen und die Wärme der Scheune vorfinden. Zur gleichen Zeit werden unsere beiden Landwirte dieses Mal mit Skiern an den Füßen bei den größten Skimo-Rennen der Welt an den Start gehen und ihren inneren Tierinstinkt kanalisieren.
FURTHER RIDING
Passo dello Stelvio
Die Spitzkehren des Stilfser Jochs sind für den Straßenfahrer, egal ob Profi oder Amateur, mythisch aufgeladen, einschüchternd und doch verführerisch, teuflisch hart und dennoch himmlisch.
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Es dauerte fünf magische Minuten die Dimension von Guillaume Néry, Freitauch-Champion und Mitglied des Caravans zu verstehen. Ihm zuzusehen, wie er sitzt und den Atem für fünf Minuten anhält, war wie ein Sprung in den Ozean auf dem Weg zum Verständnis, was dieser Super-Mensch-Sport von einem abverlangt.
Alba de Silvestro
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Anton Krupicka: Mount Blue Sky
Der Mount Blue Sky erreicht eine Höhe von 4348 m (14265 Fuß) über dem Meeresspiegel. Die Straße zu seinem Gipfel ist zufällig die höchste asphaltierte Straße in Nordamerika und bietet Radsportlern eine ziemlich verlockende Gelegenheit.