Liam Yates – Von Westen nach Osten

Und plötzlich ist es Mitte 2022, und mit unseren Bikes durch Europa zu touren, ist wieder ganz normal … Doch in der Welt, wie sie jetzt ist, gilt es keine Zeit zu verschwenden. Während ich den Radsportgöttern dankbar bin, denke ich immer darüber nach, wo ich das nächste Abenteuer bestreiten könnte. Als ich einigen Radsport-Freunden vorschlug, von Nord- nach Süddeutschland zu fahren, lautete die allgemeine Antwort übereinstimmend: „Vielleicht etwas Kürzeres?“ Folglich schaute ich auf die Karte und dachte: „Lasst uns das Ganze um 90° drehen und anstatt dessen von West nach Ost fahren.“

Gesagt getan, ein paar Monate später befanden sich sechs von uns in einer Airbnb-Wohnung in Aachen an der westlichen Grenze Deutschlands. Wir ölten unsere Ketten und füllten unsere Trinkflaschen auf. Ob nun bereit oder nicht: Wir waren hier, um das Abenteuer anzugehen. Die Route sollte uns über 660 km auf variierendem Terrain führen, und wir hatten vor, dies in fünf Tagen zu schaffen. Wir wollten das Land durchqueren und dabei eine Mischung aus Campingplätzen und anderen Unterkünften entlang des Weges nutzen. Wir alle steckten voller Begeisterung.

Tag 1: Wir brachen auf, ohne Zeit zu vertrödeln und fuhren zu dem Klang von Kirchenglocken los. Der Anfang der Tour führte uns problemlos durch das Rheinland. Es waren 160 km auf zumeist asphaltierten Straßen und Fahrradwegen, mit denen wir unsere Reise nach Osten begannen. Auf ein paar Anstiege zu Anfang des Tages folgten die so wichtigen Talfahrten, während die letzten 50 Kilometer entlang des Rheins, die bis zu unserem Zielort Koblenz führten, relativ eben waren. In der Stadt fließt die Mosel in den Rhein und so entstammt der Name Koblenz tatsächlich dem lateinischen Wort für Zusammenfluss: Confluentia.

Tag 2: Der zweite Tag fing mit Frühstück im Showroom und Café von Canyon Bikes in Koblenz an. Es war fantastisch, die Hauptstelle zu sehen und einige ihrer radikalen Bikes auszuprobieren. Natürlich ist es großartig, mit dieser Marke in Verbindung zu stehen und ohne sie wären wir wahrscheinlich auch nicht hier. Von hieraus setzten wir unsere Tour zumeist auf Asphalt fort, mit ein paar Off-Road-Abschnitten, um uns auf Trab zu halten. Wir beendeten den Tag mit einem Fünf-Sterne-Supermarkt-Abendessen, bevor wir solange weiterfuhren, bis wir einen geeigneten Platz zum Campen für die Nacht fanden.

Tag 3: Wildes Campen bedeutete, dass wir ganzschön früh aufstanden, wofür der Sonnenaufgang und die Vögel sorgten. Wir packten zusammen und fuhren weiter entlang der Route, bis wir die nächste Stadt fanden. Angelockt vom wunderbaren Duft einer Bäckerei, machten wir dort unsere Frühstückspause und besprachen den vor uns liegenden Tag. Was auch immer wir uns vorgestellt hatten – Tag 3 entpuppte sich als ziemlich heftig.
Um die Mittagszeit fing das Wetter an umzuschlagen. Uns näherten sich große Regenwolken. Mit unseren Alizée Regenjacken griffbereit setzten wir die Tour fort, bis sich die Wolken komplett entluden und gar nicht mehr damit aufhören wollten.

Bei dem Versuch warm zu bleiben, teilte sich die Gruppe. In den kurzen Momenten der Kommunikation, während es von oben schüttete, entschlossen wir uns, bis nach Eisenach weiterzufahren. Nach drei Stunden im Regen (Vielen Dank noch mal an einen unserer anderen Sponsoren!) schafften wir es schließlich und erkannten, dass Camping unter diesen Bedingungen wohl weniger Spaß machen würde. Deswegen hieß es: Hotel und Bett für die Nacht! Wir legten unsere Köpfe mit gutem Gewissen zur Ruhe, hatten wir es doch bis zur Mitte Deutschlands geschafft. Gute Nacht!

Tag 4: Wie Sie vielleicht auch schon mal erfahren haben, ist der vierte Tag immer ein bisschen schwierig. Entweder sind die Beine müde oder sie schmerzen (oder, vielleicht beides gleichzeitig). Wir waren jetzt mitten in unserem Abenteuer und stiegen von Eisenach aus auf zum Rennsteig, einem Kammweg. Diese sehr bekannte Route führt im Thüringer Wald von Hörschel nach Blankenstein.

Dieser Abschnitt sollte für eine beträchtliche Anzahl an Off-Road-Kilometern stehen und auch die meisten Anstiege beinhalten. Eines der besten Dinge an diesem Weg ist, dass man alle 5 bis 10 km auf eine Schutzhütte trifft, in der man sich aufhalten kann, wenn das schlechte Wetter zuschlägt oder in der man tatsächlich auch übernachten kann. Nach einem außergewöhnlichen Tourtag über Waldwege, der von einem weiteren sternverdächtigen Supermarktessen gefolgt wurde, taten wir genau das. Was man in Deutschland Schutzhütten oder Berghütten nennt, wird in Schottland als „Bothies“ bezeichnet. Doch egal, wie Sie sie bezeichnen mögen, sie sind der Traum eines Bikepackers. Wir schliefen fantastisch.

Tag 5: Der letzte Tag unserer West-Ost-Bikepacking-Tour war angebrochen. Wir verließen unsere Blockhüttenunterkunft und fuhren weiter entlang des Weges. Heute gab es mehr Talfahrten, und so kamen wir schnell voran. Als wir die Waldwege verließen, fuhren wir auf einer alten Panzer-Nebenstraße und das war eine der beeindruckendsten Strecken, die ich jemals gefahren bin. Hier begann man wirklich über die Geschichte dieses großartigen Landes nachzudenken und auch über die Welten, die noch weiter von uns entfernt im Osten liegen

Wir verließen den Wanderweg bei Blankenstein, und von hieraus folgten wir einer eher gewöhnlichen, asphaltierten Route bis zur Grenze. Die Stadt Cheb war unser Zielort, ein sehr gastfreundlicher Ort mit vielen Unterkunfts- und Essensmöglichkeiten für den hungrigen Radsportler. Welch tolles Gefühl, eine spontane Idee ein paar Monate später in die Tat umzusetzen. Prost!

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