Intensives Reisen: Wandern im Mercantour-Nationalpark

Es gibt viele unterschiedliche Arten zu reisen. Im Frühling und Sommer ist es gut weit und schnell zu reisen, doch im Herbst, mit Monaten von Abenteuern in den Knochen, ist es Zeit, intensiv zu reisen. Im hohen Hinterland von Nizza liegt der Mercantour Nationalpark und viele unserer Lieblingswege führen durch ihn hindurch, wie etwa die Straße zum Col de Turini und zum Col de la Bonette, die beide in den letzten Etappen der Tour de France 2024 vertreten sind. Doch aufgrund des Terrains und des Regelwerks dieses Parks, das jegliche Entwicklung oder Bebauung, jegliches Off-Road-Fahren oder Jagen sowie Pilze pflücken, untersagt und sogar Hunden(!) den Eintritt verwehrt, gibt es diese weiten Gebiete, die selbst für Mountainbiker unerreichbar sind.

Hier gibt es Wege und Pässe, die man nur zu Fuß erkunden kann. Wir brechen zu einer spätherbstlichen Wanderung im letzten Bisschen Sonnenschein des Jahres auf, um unseren Kenntnisstand über die Gebiete zwischen den Straßen zu intensivieren. Ziel war es, eine Tour zum Mont Bégo, einem 2872 m hohen Berg im Herzen des Parks zu unternehmen, dessen Seiten mit Felszeichnungen aus der Bronzezeit übersäht sind. Warum sie sich gerade dort befinden, weiß keiner so genau, doch wurden diese versteckten Täler für über Tausende von Jahren als etwas Besonderes, mitunter Heiliges angesehen. Abseits des Ausgangspunktes unseres Wanderweges wurden wir schnell von Stille und Licht umgeben.

Weder Autos noch Motorräder sausen die Wege rauf und runter – nur frische, stille Luft und die tief stehende Sonne. Zur Hauptsaison gibt es ein gutes Netzwerk aus hoch gelegenen Schutzunterkünften, die Reisende willkommen heißen. Doch in dieser Zwischensaison, nach dem Sommer und vor dem Schnee hatte nur ein einziges Refugium im Tal der Wunder, dem Vallée des Merveilles, geöffnet.

Allerdings war das genug, um uns zu helfen, unsere Runde zu vervollständigen und so blieben wir für zwei Nächte, während wir eine dazwischengelegene Nacht im Biwak verbrachten. Diese einfache und unauffällige Hütte knapp hinter der Grenze zu Italien bot uns Betten, Decken und ein Dach über dem Kopf. Alles andere mussten wir selbst mitbringen und natürlich beim Verlassen wieder mitnehmen.

Das Leben in diesen paar Tagen war fantastisch einfach: Man wanderte, aß, trank, schlief und wanderte weiter hinein in bedrohliche Bergkessel, die scheinbar keinen Ausgang hatten, und kraxelte Geröllhalden hinauf zu vergessenen Pässen oder stieg durch bunt leuchtende Lärchenwälder neben rauschenden und plätschernden Bächen hinunter. So ein Pfad ist jedenfalls eine freundliche Sache, egal wie klein oder undeutlich er auch sein mag.

Er ist ein Zeichen, dass zuvor schon einmal jemand hier war, und er verleiht die Hoffnung, dass irgendwo in der Nähe seines Endes ein warmes Willkommen, ein kühles Bier und ein Platz, an dem man seinen Rucksack ablegen kann, warten. Wir sind in diesen dreieinhalb Tagen 70 Kilometer gelaufen, also ungefähr die Distanz, die wir in drei Stunden mit dem Fahrrad geschafft hätten. Wir haben uns langsamer bewegt, langsamer gedacht, langsamer erlebt und sahen doch so viel mehr.

Man könnte diese Pfade jahrelang entlangwandern, ohne jemals so ziemlich das Gleiche zu sehen oder zu fühlen. Vielleicht, so denke ich, könnte auch ein einziges Tal genügen, um es zu erkunden, durch Regen, Sonne und Schnee, während man beobachtet, wie die Schatten sich ändern, die Bäume wachsen und die Jahre vorüberziehen.

In der kurzen Zeit, seitdem wir wieder zurück in die Zivilisation abgestiegen sind, hat die Jahreszeit sich verändert und starke Stürme suchten erneut die Täler hinter Nizza heim. Es ist eine Erinnerung daran, wie hart das Leben in diesen Bergen sein kann und dass sie nicht immer so wohlwollend sind, was jedoch die Erinnerung an die Zeit dort in der Sonne umso süßer macht.

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