Radsport und Kreativität: Isabel Del Real
„Neue Landschaften zu sehen, ist eine wahre Inspirationsquelle.“
Isabel Del Real ist Langstrecken-Radsportlerin, Illustratorin und Autorin. Sie ist in San Francisco geboren und an der Küste Britanniens aufgewachsen. Den größten Teil ihrer Kindheit verbrachte sie damit, draußen zu sein und Bücher zu lesen. Von Neugier getrieben und mit angeborenem Fernweh entschied sie sich nach der Universität eine Auszeit zu nehmen, um zu reisen.
Daraus resultierte recht bald eine einjährige Bikepacking-Tour, ein Radsport-Abenteuer von Frankreich bis zum Iran, in dem sie ihre Liebe zum Erkunden und der Erzählkunst wiederentdeckte. Als Freundin von Café du Cycliste besuchte sie vor Kurzem Nizza, um über ihre Leidenschaft für den Langstrecken-Radsport zu berichten und wie diese Leidenschaft ihr künstlerisches Schaffen beflügelte.
Bereits verliebt in das Wandern und mit einer Obsession für sowohl Berge als auch antike Karten, träumte Isabel Del Real von einer großen Wanderung nach Osten über all die hohen Gipfel Europas bis nach Asien. Sie begann mit einer Wanderung in den hohen Pyrenäen und entdeckte dort, dass sie derartige Touren liebte, realisierte aber zugleich, dass es wohl drei Jahre dauern würde, den ganzen Weg zu Fuß zurückzulegen. Sie fand für sich heraus, dass das richtige Gefährt, um sie und ihre Ausrüstung zu tragen, wohl das Fahrrad sei. So baute sie ihr Bike mit Freunden aus diversen Ersatzteilen und einem Surly Ogre Rahmen zusammen und nähte ihre eigenen Fahrradtaschen. Nun war sie bereit für ein ernsthaftes Bikepacking-Abenteuer. Isabel entschied sich, dass sie von ihrer Heimatstadt Plouër sur Rance im Nordwesten Frankreichs nach Teheran reisen wollte, und genau dieses Abenteuer veranlasste die 26-Jährige, ihre Reise anhand von Illustrationen zu dokumentieren.
Schon als sie jünger war, mochte es Isabel stets zu malen, zu zeichnen und zu kolorieren, doch wollte sie niemals Kunst studieren. Allerdings fand sie auf ihren Bike-Touren den Frieden und die Abgeschiedenheit, um ihre Leidenschaft für die Illustration neu zu entfachen. Nachdem sie die Furcht vor dem leeren Blatt und vor dem Streben nach Perfektion überwand, zeichnete sie Linien, die sie mochte und begann, sich gut zu fühlen, wenn sie ihren Pinsel samt Farbe auf das Papier führte. Während ihrer Reise nach Teheran malte sie mehr und mehr und gewann Vertrauen in sich selber und in ihre Form.
Eines der Resultate Ihrer Reise war ein grafischer Roman, den sie neuerdings veröffentlichte und Plouheran nannte (eine Vermischung von Plouër und Teheran). Heute drückt sie die Gefühle, die sie auf ihren Reisen erfährt, wie die Einsamkeit, die Begegnungen, die Nächte in den Biwaks und die Freundschaften in ihren Zeichnungen aus. Sie schildert diesen ewigen Akt, „den Blick nach vorne zu richten“, um das nächste Ziel zu erreichen. Isabels Kreativität ist so ziemlich das Produkt ihrer Touren mit dem Rad. Sie nimmt ein neues Exemplar ihres Plouheran-Romans aus der Box, betrachtet es und sagt:
„Man hat so viel Freiheit sowohl physisch als auch mental, wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist. Zwar ist der Körper beschäftigt, doch kann der Kopf denken. Das bringt Frieden mit sich und es ist diese Klarheit des Geistes, die es einem erlaubt, kreativ zu sein. Es setzt Fantasie frei, große Landschaften vor sich zu sehen sowie Berge, die einen zum Träumen bringen und auf die man alle Gedanken projizieren kann.“ Während ihrer Reise von der Bretagne nach Teheran stellte sie fest, dass diese Reise ihr die Möglichkeit und Inspiration zum Zeichnen gab. Während sie sich in die verschiedenen Landschaften und Details ihres Buches vertieft, fährt Isabel fort:
„Wenn man eine langdauernde Reise unternimmt, dann benötigt man diese Momente der Pause. Manchmal gibt es dabei kein Internet und keine Bücher, die man lesen könnte … Wir haben Zeit, die wir uns nehmen können, was an sich schon ein immenser Luxus ist. Der Geist ist wirklich mit den Pedalen verbunden. – Es gibt da beispielsweise sehr frustrierende Dinge, die wir irgendwie bannen, während wir einen Anstieg angehen, aber auch Dinge, die mit Freiheit und Freude in Verbindung stehen, wenn wir bergab fahren. Das Bike ist ein Vehikel zum Nachdenken, und wir können eine regelrechte Ordnung, eine Klarheit der Kreativität auf dem Fahrrad erfahren.“
Wir stellen die offensichtliche Frage, wie diese Art des Reisens und des Erkundens ihre kreative Arbeit beeinflusst und wie sie sich schließlich auf dem Papier wiederfindet.
"„Beides ist sicherlich miteinander verknüpft, allerdings geschehen beide Dinge ja an unterschiedlichen Schauplätzen ...
Wenn man Comics macht und Rad fährt, bewegt man sich zwischen zwei Phasen. Bei der Outdoor-Phase, wenn man sich auf dem Rad befindet, findet man Inspiration und sucht nach Geschichten.
Doch ab einem gewissen Punkt ist man gezwungen, sich hinzusetzen, um die Comic-Bilder zu kreieren, was extrem anspruchsvoll ist. Man schließt sich in seinem Studio ein und nimmt sich einfach die Zeit.“
Isabels Prozess zur Erstellung ihrer Geschichten beginnt natürlich mit Skizzen, aber auch mit Fotos und Notizen von ihrem Smartphone sowie mit dem altmodischen Ding, das man menschliches Gedächtnis nennt."
„Wenn man nicht auf die eignen Fotos oder Notizen schaut, lautet die Frage: ‚An was kann man sich erinnern?‘ Das Gedächtnis bietet eine Momentaufnahme im Kopf. Manchmal wird diese etwas vom Bewusstsein verzerrt, doch ist es eine Erinnerung und bietet so eine ausdrucksvolle Darstellung. Für meinen grafischen Roman Plouheran nutzte ich das, an was ich mich am meisten erinnern konnte. Heutzutage reise ich, um Geschichten zu finden. Hinterher muss man arbeiten, um diese Geschichten zu etwas mehr zu formen als zu bloßen Erfahrungen … Es gibt so viele freudige Erinnerungen, die man beim Radfahren erlebt. Auf dem Rad war ich jeden Tag glücklich. Man befindet sich in freier Natur und sieht wunderschöne Dinge. Man trainiert und fühlt sich gut. Einer der magischsten Momente war sicherlich die Fahrt auf einem Schotterweg durch die Schlucht des Euphrat samt dem Abend, den man im Biwak verbrachte. – Pures Abenteuer.“
Diese magischen Momente sind die treibende Kraft für Isabel, die sich selber nicht als reine Radsportlerin sieht, sondern eher als „Draußenseiterin“. Doch ist klar, dass sie sich ein Zuhause schafft, sobald sie ein neues Ziel erreicht, mit Geselligkeit und Begeisterung für alles und jeden, den sie trifft.
„Ich wollte an einen bestimmten Ort gelangen und das Fahrrad war ein Mittel, um dorthin zu kommen. Heute liebe ich das Radfahren nahezu hyperrational. Es ist das beste Transportmittel in die Stadt oder wohin auch immer. Radfahren ist nicht nur ein Sport, es ist ein Mittel des Reisens und der Alltagsflucht. Ich hatte nicht gedacht, dass ich mich als Radsportlerin bezeichnen würde, doch mittlerweile denke ich, dass es von dem Moment an, an dem wir ein Fahrrad fahren, keine Rolle mehr spielt, was wir sind, wir sind Radsportler. Jeder betreibt auf eigene individuelle Weise Radsport.“
Café du Cycliste hat sich 2021 zum ersten Mal mit Isabel zusammengetan und versorgte sie mit einigen wesentlichen Ausrüstungsgegenständen auf ihrer Reise von der Bretagne nach Teheran (inklusive ihrer vertrauten Alizée, die sie nahezu überallhin mitnimmt). Isabels erster Aufenthalt in Nizza war aus den gleichen Gründen unvergesslich, aus denen so viele immer wiederkehren: die Berge, die See und die Kultur.
„Nizza hat mich zum Zeichnen inspiriert. Die Stadt mit ihren Ziegeldächern, dem Grün und den Booten ist prädestiniert für Sportler und Reisende. – Diese Farben, die Kirchen … und die Socca. Die Atmosphäre der Stadt fühlt sich sehr italienisch an. Nizza ist eine wunderschöne, entspannende Stadt, die sich wie ein endloser Sommerurlaub anfühlt.“
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