Radsport und Kreativität: Pierre Léopold
Schon beim Betreten des renommierten Curie Instituts in Paris bekommt man sofort einen Sinn für dessen Zweck. Forscher aus aller Welt sind hier, um wissenschaftliche Versuche auszuführen, die die Zukunft der Menschheit prägen könnten. Einer dieser Forscher ist Pierre Léopold. Pierre ist Professor von bescheidener Natur und Spezialist für Drosophila, also für die Taufliege, die genutzt wird, um Genetik zu verstehen. Außerhalb des Labors ist Radsport für Pierre unentbehrlich. Er erklärt uns, dass Radsport und Forschung ein sich ergänzendes Ganzes bilden.
Wie nutzen Sie Ihre Kreativität?
Ich bin Forscher im Fachbereich Biologie. Ich übe eine Tätigkeit aus, bei der Kreativität auf vielen Ebenen zum Ausdruck kommt. Wissen und Fachkenntnis reichen nicht aus, um Erfolg zu haben. Man muss schon eine deutliche Dosis an persönlicher Initiative oder Inspiration mit einbringen, wobei die Inspiration mit den rationalen Aspekten der Wissenschaft im Widerspruch zu stehen scheinen mag.
Wie sind Sie Forscher geworden?
Ursprünglich wollte ich Arzt werden, doch führten mich meine Studien langsam weg von der gewöhnlichen Medizin. Die Idee zu forschen kam mir, als ich das Buch „Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der modernen Biologie” gelesen habe, das von dem Nobelpreisträger Jacques Monod geschrieben wurde. Ich muss gestehen, dass ich es zu der Zeit nicht komplett verstanden habe, doch überzeugte es mich von der universalen Dimension dieses Berufs und zeigte mir, wie alles zusammenhängt. Sachverhalte sind manchmal dem Zufall geschuldet und auch der Notwendigkeit, um auf Monod zurückzukommen. Nachdem ich die Universität verließ, wurde mir angeboten, in einem sehr guten biologischen Labor an der Universität von Nizza zu arbeiten. Ich dachte, dass ich dort nur ein paar Monate bleiben würde, doch letztendlich verbrachte ich einen Großteil meiner Karriere hier.
Was sind die besten Bedingungen zum Kreieren?
In der Forschung gibt es zwei Wege, um die Kreativität anzuregen und neue Ideen zu entwickeln. Einerseits kann man in engem Kontakt zu anderen stehen, sich frei mit seinen Kollegen austauschen und neue Trends und Hinweise auffassen. Das ist nicht immer einfach unter Wissenschaftlern, da der Wettbewerb erbittert sein kann. Andererseits muss man wissen, wie man all das verdauen kann, wie man sich isoliert und alleine denken kann, um seinen eigenen Weg zu finden und daran zu glauben!
Was sind die größten Erfolge und Erfüllungen in Ihrer Arbeit?
Ich mag es mit jungen Forschern und Studenten zusammenzuarbeiten. Das ist wahrscheinlich die Arbeit, die sich am meisten lohnt.
Die besten Momente hat man immer im Labor, wenn sich ein neues Resultat ergibt und überrascht. Das verleiht uns das intensive Gefühl der Entdeckung, die unsere Sicht der Dinge verändert. Dann wissen wir, dass wir die ersten sind, die eine neue Realität entdecken und verstehen, eine neue Realität, die außergewöhnlich genug ist, dass sie Monate, gar Jahre der Frustration tilgt.
Wie lange fahren Sie schon Rennrad?
Da ich in Nizza lebte, habe ich immer Zeit in den Bergen verbracht. Das Rennrad kam später, um für weitere alpine Projekte in Form zu bleiben. Ich erinnere mich daran, dass ich mich zunächst geweigert habe, mich diesem Sport hinzugeben, da ich fürchtete, dass dies eine allzu aufwändige Leidenschaft werden würde. An dem Tag, als ich anfing, realisierte ich, dass es schwierig sein würde damit wieder aufzuhören.
Fahren Sie regelmäßig?
Als ich im Süden lebte, bin ich ein- bis zweimal die Woche rausgefahren. In Paris ist die Sache schon komplizierter. Allerdings habe ich mich meinem Hometrainer zugewandt, der mir die Flexibilität gibt, die die Tücken meines Terminkalenders und des Wetters zu umgeht.
Wo fahren Sie am liebsten?
Da ich aus einem Ort mitten in den Bergen stamme, habe ich seit langer Zeit Radsport im Hinterland von Nizza betrieben und mit leichtem Bau lautet die Devise: aufwärts! Die Landschaften des Berges, die vorüberziehen sind grandios, die Anstrengung ist anhaltend, und es entsteht dieser beglückende Eindruck, sich über alles zu erheben.
Welche von Ihren Ausflügen waren die schönsten?
Ich bin nicht viele der großartigen, klassischen Routen in den Alpen gefahren. Meistens fuhr ich in der Gegend von Nizza, einem außerordentlichen Gebiet für den Radsport. Ich mag die kleine Straße, die am Col de l’Orme beginnt und sich der unteren Cabanette auf dem Anstieg zum Col de Turini anschließt. Diese Straße mit ihrer Aussicht über das Lucéram-Tal bis hin zur See ist überwältigend. Nur selten trifft man auf ein Auto oder gar ein Fahrrad.Glauben Sie, dass es eine Verbindung zwischen Radsport und Kreativität gibt?
Eine Verbindung zwischen physischer Aktivität und intellektueller Aktivität ist schon vor etlichen Jahren festgestellt worden. In einer der neusten wissenschaftlichen Veröffentlichungen wurde an Mäusen die Rolle von Selenproteinen demonstriert, die als Antwort auf physische Anstrengung, die Bildung neuer Neurone stimulieren. Mäuse, die regelmäßig ihr Rad benutzen, verlangsamen einen unausweichlichen kognitiven Verfall – es ist unglaublich!
Ich persönlich habe die Effekte von physischer Aktivität auf das Denken und die Kreativität gefühlt. Es passierte mir die ersten paar Male, als ich auf Bergpfaden lief. Der Körper kommt in seinen Rhythmus und passt sich den Anstrengungen an. Wir haben dann das Gefühl, dass unser Geist frei ist und dass er Fragen, die in unserem Bürostuhl noch unbeantwortet schienen, in erhöhter Geschwindigkeit erforscht… Mit dem Rad funktioniert das auch, jedoch muss man den hektischen Straßenverkehr ignorieren.
Diese Selbstwahrnehmungen sind die schönsten Momente auf dem Rad.
Diese Selbstwahrnehmungen sind die schönsten Momente auf dem Rad. Trotz der Gegenwart des Asphalts können Sie sich in die Sie umgebende Natur vertiefen und Ihre Anstrengung auf eine sehr positive Weise erfahren. Oftmals in diesen Momenten ermöglicht eine tiefe mentale Entspannung unserem Geist, sich zu entfalten. In einer viel pragmatischeren Weise ermöglicht auch der Hometrainer Anstrengung und mentale Loslösung zu kombinieren. So ähneln wir der Labormaus ein wenig mehr, die in ihrem Rad rennt und sich an den Selenproteinen berauscht…
Erinnern Sie sich an die Ideen oder Lösungen, die Ihnen während des Radfahrens gekommen sind?
Es gibt viele dieser Momente während Sie fahren, in denen sich die Nebelschwaden um eine bestimmte Situation auflösen. Es muss sich dabei nicht gerade um die Idee des Jahrhunderts handeln, jedoch kann es ein neuer Weg zu denken sein. Wir haben das Gefühl eines „Heureka-“Moments. Die Schwierigkeit besteht aber oft darin, ihn am Ende der Tour im Gedächtnis zu behalten, wenn Sie erschöpft und hungrig sind!
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