Gipfel Symphonie

Wir beenden den Winter mit einem Knall. Es ist ein wenig so, als ob wir uns selbst nochmal nach einem köstlichen Essen Gutes tun oder dem großen Finale einer brillanten Symphonie beiwohnen. Auch mag wohl eine Spur Snobismus dabei sein, die daher rührt, dass wir an einem Ort leben, an dem wir innerhalb eines Tages von der blauen See der Côte d’Azur zu den schneebedeckten Bergspitzen gelangen können und dabei das Radfahren mit dem Skifahren kombinieren können. Seien wir ehrlich – hier zu leben ist ein Privileg, das ein kleine Portion gesundes Prahlen verdient.

Die Skisaison war neuerdings besonders bitter. Einerseits, weil es besonders stark auf den Gipfeln der südlichen Alpen schneite und andererseits, weil die Pandemie zur Schließung einer Anzahl von Skiorten führte und den Zugang nur für fortgeschrittenen Skifahrer ermöglichte. In dieser Saison gehören die Berge uns – den wenigen Privilegierten. Die Kombination von Rad- und Skifahren wird jährlich am selben Tag mit dem berühmten Prom-Gélas Rennen gefeiert, das traditionell an Nizzas Promenade des Anglais anfängt und bis zum Gélas, dem höchsten Gipfel der Seealpen führt. Der Gélas kann aufgrund der gewaltigen Überschwemmungen, die das Hinterland letzten November heimsuchten, nicht mehr erreicht werden. Der Weg zum Gipfel wurde extrem beschädigt und wird für eine Weile unzugänglich sein

Die Wahl unseres Wintersportortes fällt auf den Bergkamm, auf dem sich die Isola 2000 Station an der Italienischen Grenze befindet. Da hier in den letzten Tagen die Temperatur auf 25°C angestiegen ist, hat auch der Schnee in höheren Berglagen angefangen recht schnell zu schmelzen, sodass nur noch die nördlichsten Gipfel Schneebedeckt sind. Dort haben wir wahrscheinlich die größte Chance uns auf die Pisten zu begeben.

Wir treffen uns morgens um 06:30, um mit unseren Fahrrädern an der Promenade des Anglais loszufahren. Unsere Skier haben wir bei einem Freund gelassen, der im Herzen des Isola Ferienortes lebt. Der Übergang zum Skifahren wird spätestens 2 Uhr nachmittags erfolgen, was uns Zeit gibt die 90 km und die 2300 m Höhenunterschied zum Schnee zu bewältigen, bis zu der Stelle, an der wir unsere Skier anschnallen werden.

An diesem Morgen herrschen an der See kalte Temperaturen. Entlang der Promenade haben die Straßensäuberungsteams einen feuchten Asphalt hinterlassen. Die ersten Jogger tauchen auf, und diese Küstenstraße, die einem die Passage durch Nizza von Ost nach West ermöglicht, erwacht langsam zum Leben, angefangen mit den Liebhabern der Morgenstunden, die frische Luft suchen. Es ist interessant, hier zu sein.

Wir starten.

Die 40 km, die wir im Tal zurücklegen müssen, um zum Fuße der Berge zu gelangen, bieten ein willkommenes Warmup. Es sind lediglich 4°C, und wir haben unsere Handschuhe und die weise ausgesuchte Kleidung angelegt, die uns an diesem abenteuerreichen Tag beistehen wird. Die Sonne braucht nicht lange, um die Straße aufzuwärmen. Mit zunehmender Höhe in der Tinéeschlucht, fällt die Temperatur rapide ab. Nach 40 km wird die Sache ernst, weshalb wir eine Pause einlegen, um zwei Honigwaffeln zu essen und ein paar Schluck zu trinken. Wir betrachten die Sonnenstrahlen, die die Küste hell erleuchten.

Als wir Saint-Sauveur-sur-Tinée erreichen, wird uns klar, dass sich unser Universum geändert hat. Hier umringen ein paar Häuser die Kirche und genießen die morgendliche Sonne, während die Tinée weiter unten das einzig wahrnehmbare Geräusch erzeugt. Wir fühlen ein überwältigendes Gefühl der Freude, denn es sind diese Sensationen, die uns daran erinnern, warum wir es mögen, soviel Zeit auf dem Sattel des Rades zu verbringen.

Wir sind in die Schlucht mit den roten Felsen gefahren, die den Eingang in den Mercantour Nationalpark ankündigen. Der Anstieg ist jetzt ein wenig steiler, da hier der der letzte Abschnitt vor Isola eingeläutet wird und den Anfangspunkt des 20 km langen Anstiegs markiert, der das Highlight dieser Route darstellt.

Die wichtigsten Pässe werden offiziell in ein paar Tagen vom Schnee freigeräumt, doch nun lassen wir La Bonette zu unserer Linken und fahren zum Col de la Lombarde, unserem Anstieg des Tages. Wir wissen bereits, dass wir ihn aufgrund des Schneemangels nicht mit unseren Skiern erreichen können, also fällt unsere Wahl auf die nördliche Piste – aber jetzt, heißt es erst einmal die Pedale in Gang zu halten und die Kilometer hinter uns zu lassen. Die Herden von Chamois, von Gämsen, die die Hänge heruntergekommen sind, nutzen den Vorteil der üblichen Stille, um das Salz vom Asphalt der immer noch salzigen Straßen abzuschlecken. Allerdings geben Sie uns nicht einmal eine Sekunde, um unsere Kameras zu zücken. Mit nur ein paar Sätzen sind sie verschwunden.

In einer Höhe von ungefähr 2000 Metern, zeugt nur wenig verbliebener Schnee am Straßenrand davon, dass der Schneefall in diesem Jahr knapp war. Tatsächlich scheint die Sonne in einer derartigen Intensität, dass man dem Schnee beinahe beim Schmelzen zuhören kann, bevor er in Rinnsalen von den Dächern der Chalets herunterströmt.

Nach langer Tour legen wir die Fahrräder bei Seite. Unsere Skier warten auf uns. Wir sind auf dem Weg zum Gipfel des Mercières und dieser Teil des Rennens endet an der vor der Sonne ungeschützten Nord-Seite. Wir befürchten, dass es zu wenig Schnee gibt.

Doch ist der Berg unser. Lediglich das Pochen und Quietschen unserer Skier auf dem Schnee füllt die Stille. Das Überqueren der kleinen Bäche aus Schmelzwasser unterbricht den Rhythmus unseres Aufstiegs, und wir denken gierig an die sanfte Abfahrt, die uns auf dem Frühlingsschnee erwartet.

Leider können wir heute nicht die Spitze des Mercières, die Tête Mercière erreichen. Als wir zum Pass gelangen, entdecken wir, dass die südliche Abfahrt nur noch aus Gras besteht. Kein Problem – wir betrachten die Immensität dieser Landschaft und sind zufrieden, dass wir den Anforderungen der Kombination von Rad-und Skifahren gewachsen waren und behalten das Letztere im Gedächtnis. Und trotzdem…die Wettervorhersage hat für die nächste Woche Schnee angekündigt, vielleicht ist dies ja noch nicht das Ende der Geschichte…

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