TRANSMISSION – GUILLAUME NERY

Wir stellen eine neue Rubrik über Profile und Erkundungen der generationenübergreifenden Verbindung des Radsports und seiner positiven Auswirkungen auf die Welt vor.

Radfahren ist ein Geschenk von dem Zeitpunkt an, an dem man beigebracht bekommt, in die Pedale zu treten und schließlich die Straße entlangfährt, bis zu dem Moment, in dem man dankend die Arme hochreißt, wenn man die Ziellinie überquert. Es ist mehr als nur ein Sport. Es ist eine Leidenschaft, eine Gemeinschaft, eine Familie, ein Geschenk, das von Generation zu Generation weitergegeben wird - Leidenschaft, Community, Selbstständigkeit und Ausgeglichenheit.

Das erste Thema in der Rubrik Transmission handelt von Guillaume Néry, dem Weltmeister im Freitauchen, der zeitlebens Radsport betreibt und an der Riviera wohnt. Er verkörpert den Geist der Transmission.

Wir begleiten ihn auf einem Familienausflug mit seinen Eltern und seiner Tochter auf dem italienischen Radweg von Ospedaletti entlang der Riviera Dei Fiori. Drei Generationen fahren zusammen, während sie den berauschenden Blick auf das Ligurische Meer genießen.

Seit jeher besucht Guillaume Néry das Haus seiner Familie in einem kleinen Dorf im Département Drôme – eine Sommertradition. Hier hat er Laufen gelernt sowie Radfahren und später auch Schwimmen. Bei seinen ersten Ausflügen mit dem Rad war er gerade ein Jahr alt und saß auf einem alten Fahrradsitz hinter seiner Mutter Corinne, die mit ihrem Baby Anstiege und Abfahrten von Bergpässen fuhr. Als er es eines Tages gelernt hatte, sich mit dem Fahrrad fortzubewegen, wurde dieses zu seinem ultimativen Werkzeug für Entdeckungen und so tourte er durch die Straßen des Dorfes. Mit ungefähr fünf Jahren konnte er sich bereits selbst auf den Weg begeben, um die großen Weiten des Ländlichen zu entdecken und zu realisieren, welch magische Maschine doch so ein Fahrrad ist.

Transmission: Guillaume Nery
Transmission: Guillaume Nery
Transmission: Guillaume Nery
Transmission: Guillaume Nery

Als er heranwuchs, machte es ihm mehr und mehr Spaß, die örtlichen Pässe zu erklimmen. Sein Vater Joël Néry notierte die Fahrzeiten von jedermann. Ziel war es, die eigenen Bestzeiten des letzten Sommers zu schlagen. „Das war das erste Mal. Dass ich diesen Wettbewerbsimpuls verspürte, mich Jahr für Jahr zu verbessern. Radsport war die Disziplin, in der ich meine physischen Fähigkeiten verstand. Ich habe sehr lebhafte Erinnerungen daran, wie ich mit meinen Eltern Rennen fuhr. Es existierte sogar eine Rangliste bei uns und es gab Preispunkte für denjenigen oder diejenige, der oder die den Bergpass zuerst erreichte. Wir führten sogar Zwischensprints ein und unsere Ausflüge begannen ein wenig der Tour de France zu ähneln. Es war magisch.“ Seine Übung im Radsport hat sich seitdem stark weiterentwickelt. Radsport war Guillaumes Hauptdisziplin in seine Jugend, doch dann entdeckte er das Apnoetauchen.

Er har den Bezug zu seinem Fahrrad beibehalten und nutzt es als Werkzeug, um zu trainieren. Es war unterdessen unverzichtbar für seine physische und mentale Kondition, die er für seine Unterwasser-Athletik benötigt. Heute hat er eine ganze Gruppe von Freunden, die aus der Freediving-Sparte kommen und die auch den Radsport als Mittel zum Trainieren nutzen. In der Winterzeit fahren sie zusammen mit der Absicht, dann im Sommer noch tiefer zu tauchen.

„Ich verstehe das Fahrrad als eine Art Symbol, als Schlüssel, um sowohl mentale als auch physische Möglichkeiten zu eröffnen. Ich sehe da drei Bereiche, bei denen der Radsport den Rahmen für Entwicklung bietet: Erstens die Wertschätzung der Anstrengung, denn es erfolgt eine physische Anstrengung, die eine Bewegung erzeugt. In einer Welt und einer Gesellschaft, in der wir die Idee des ‚Vorankommens‘ als absoluten Komfort betrachten, ist das negativ. Der Radsport erlaubt Ihnen, Ihren Körper wieder in Bewegung zu versetzen und dabei Ihre Fortbewegung selbst in die Hand zu nehmen.

Der zweite Bereich ist die natürliche Energie, eine Form des Langsamer-Werdens und der Nutzung der menschlichen Energie im Vergleich zu der motorisierten Form des Transports. Radsport ist wie zu Fuß zu reisen, nur schneller, denn schließlich wurde das ‚Vélocipède‘ dafür designt. Es geht darum, ein etwas natürlicheres Tempo des Fortbewegens zu finden und das Leben auf eine andere Weise zu schätzen.

Drittens gibt es den entscheidenden Akt des Teilens. Radfahren ist etwas, das wir in der Gemeinschaft tun, [und das ist in der Transmission verwurzelt,] es ist die Idee des gegenseitigen Vorteils dieses Sports, und so unterstützen wir uns in schwierigen Momenten und dabei lernen wir zusammen zu sein, um uns gegenseitig zu helfen.“

Heute ist das Fahrrad für Guillaume vielmehr ein Werkzeug, das er teilen will, eine Form der Gemeinschaft. Er fährt mit seiner Tochter Maï-Lou und seiner Partnerin Audrey jedes Mal mit dem Rad, egal, ob sie reisen, zum Zug fahren oder um Schwimmen zu gehen. Heutzutage fährt er sehr selten einsam mit dem Rad. Früher trainierte er oft für sich alleine, doch inzwischen steht das Radfahren für ihn wie ein Synonym für Freundschaft und Liebe …

Transmission: Guillaume Nery
Transmission: Guillaume Nery
Transmission: Guillaume Nery
Transmission: Guillaume Nery

„Das Rad ist mein hauptsächliches Fortbewegungsmittel im Alltag. Es erlaubt mir wirklich neue Orte zu entdecken und in meinem eigenen Tempo zu reisen. Das Fahrrad ist fast allgegenwärtig. Ich nahm meine Tochter auf dem Bike mit, wie es einst meine Mutter mit mir machte.“ Sobald seine Tochter zwei Jahre alt war, erklomm er mit ihr einige Hügel, während Sie im Kindersitz saß. „Auch bringen wir sie auf diese Weise zur Schule. Mittlerweile kann sie ihr eignes Fahrrad fahren und man kann sagen, dass sie auf den Geschmack gekommen ist. Zwar sieht sie das Radfahren nicht von der Seite des Leistungssports, dafür zählt für sie vielmehr der Aspekt des Entdeckens. Vor Kurzem fuhren wir für einige Tage zusammen in den Luberon. Ich beginne langsam zu denken, dass dieser Funke in ihr steckt, der die Leidenschaft für diesen Sport entfachen kann. Doch will ich nichts erzwingen. Es soll ihr letztlich Spaß machen.“ Er wünscht sich, dass alle in ein paar Jahren für mehrere Monate zusammen auf Abenteuertour gehen und formt mit ihr dieses wundervolle Konzept, in dem Radsport mit Reisen und Entdeckung zusammenpasst.

„Durch den Radsport hoffe ich, einen gewissen Geist der Neugier zu übermitteln, zu transmittieren. Das Fahrrad öffnet Ihnen die Augen und zeigt Ihnen, wie beengt, wie eingeschränkt Sie in Ihren Möglichkeiten sind, wenn Sie mit dem Auto oder Flugzeug reisen, ja selbst der Zug limitiert Ihr Erlebnis … Das Fahrrad hingegen verwandelt die Reise in eine Quelle der Observation, der Faszination, Neugier und Entdeckung.

Das möchte ich an sie weitergeben, doch will ich ihr gleichzeitig den Geschmack der Anstrengung übermitteln, wenn man durch all diese Phasen geht: die schwierigen Momente, wenn man aufgeben will; die Erfahrung von Euphorie. Die Anstrengung nährt Seele sowie Geist und bietet großartige Lektionen im alltäglichen Leben.“

Als die Familientour eine Mittagspause einlegt, setzen wir uns alle hin. Guillaumes Vater, seine Mutter und seine Tochter plaudern und lachen … Er schaut sehr zufrieden zu: „Wie ich schon sagte, ich sehe das Fahrrad als eine Art Symbol.“

Guillaume wird noch einige Zeit mit seinen Eltern im Département Drôme fahren. Gerade hat er das alte Fahrrad seines Vaters aus dem Speicher geholt, das sein Vater als Teenager in den 60igern gefahren ist. Guillaume hat vor, es in seinem alten Glanz wieder herzustellen, sodass Joël es erneut benutzen kann. In der bloßen Natur dieses Objektes finden wir die Idee der Transmission. Während er geht, um ein Telefonat zu führen, bitten wir Corinne, Guillaumes Mutter, etwas über ihren Sohn und das Fahrrad zu erzählen.

Transmission: Guillaume Nery
Transmission: Guillaume Nery
Transmission: Guillaume Nery
Transmission: Guillaume Nery

„Als er 14 Jahre alt war, bezwangen wir den Ventoux. Für eine kurze Weile fuhren wir zusammen, als er urplötzlich sich aus unserem Blickfeld entfernte, indem er auf dem Weg zum Gipfel vielleicht 30 Radsportler überholte oder mehr. Er fuhr immer schneller und schneller und sein Spaß am Radsport ließ nie nach.“

Heute war ein wirklich wunderschöner Tag, an dem wir beobachten konnten, wie die Leidenschaft des Radsports von Generation zu Generation weitergegeben wird und in diesem Fall reicht diese Leidenschaft sogar noch weiter zurück, da auch Guillaumes Großvater Radsportler war.

„Für mich ist es das Gefühl, über sich hinauszuwachsen, das Gefühl der Freiheit und der Unabhängigkeit. Auf einem Fahrrad bin ich von meiner eigenen persönlichen Anstrengung abhängig, losgelöst von allen Zwängen und nahe an der Natur. Es ist fantastisch. Es ist die Verbindung zwischen uns allen, eine Leidenschaft, die uns zusammengehalten hat.“

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