High Five

Als mir diese Herausforderung zum ersten Mal angeboten wurde, muss ich gestehen, dass ich etwas fasziniert war, obwohl ich dachte, dass das vollkommen verrückt sei. Fünf der örtlichen Pässe in nur einer Tour, die mehr als 200 km lang ist und Steigungen von über 5000 Höhenmetern enthält – allein das zu lesen, ist schon ermüdend. Doch wer mag es denn nicht, herausgefordert zu werden?

Startzeit: 7:00 vormittags. Ich verlasse das Café und fahre entlang der friedvollen Strände, die an Nizzas Hafen angrenzen. Sie werden nur von einigen frühmorgendlichen Schwimmern besucht, die wie Tupfen im Mittelmeer erscheinen. Der erste Anstieg auf der Liste ist so etwas wie eine Formsache für jeden Radsportler Nizzas: der Col d’Èze. Er erreicht 507 Höhenmeter und bietet ein kurzes, recht intensives Training. Wahrscheinlich ist er deshalb ein Favorit für eine einstündige Mittagstour. Der Èze ist auch eine bekannte Zeitfahr-Etappe beim Paris Nizza Rennen und bietet atemberaubende Panoramaaussichten über die See im Süden sowie die Alpen im Norden. Nicht schlecht für 45 Minuten Rad fahren und ein früh verdientes Abzeichen!

Als Nächstes ist der Col de la Madone an der Reihe. Also fahre ich nach la Turbie herab und hinein nach Menton. Der Madone beginnt an der Route des Serres, einer versteckten Straße, die Ihnen schnell erlaubt, etwas Höhe zu gewinnen. Jede Biegung bietet Ihnen eine bessere Aussicht auf die Stadt über dem Meer. Der Anstieg wurde durch Lance Armstrong berüchtigt, der ihn als Testgebiet vor dem Start jeder Tour de France nutzte. Die Marke Trek ging sogar so weit, ihr führendes Fahrradmodell nach diesem Anstieg zu benennen, während jede weitere Modellbezeichnung aus einem Annagramm von Madone besteht.

Der Anstieg ist ein Highlight jeder Tour an der französischen Riviera, nicht wegen seiner Höhe, seiner Steigung, der Aussicht oder der Spitzkehren, sondern wegen des besonderen Gefühls, das mit der Durchquerung des Dorfes Sainte Agnès einhergeht, während Sie klettern. Dieses Gefühl kann nicht von einem seiner Nachbarn repliziert werden. Es ist 9:15 vormittags, und ich habe 1500 Höhenmeter auf nur 45 km bezwungen.

Meine Aufmerksamkeit richtet sich nun auf den Col de Braus, und ich fahre in das Dorf l’Escarène, bevor ich nach rechts abbiege. Der Anstieg mag zwar nur 11 km lang sein, allerdings haben einige Abschnitte einen Steigungsgradienten von 12 %. Das ist kein Picknick. Der Braus ist bekannt für seine Serpentinen, die ein paar Kilometern vor dem Gipfel anfangen. Ich gestatte mir eine Weile zurückzuschauen und genieße die Aussicht. Unter mir schlängelt sich der Weg, ein Klassiker. Auf meinem Rad-Computer lese ich 70 zurückgelegte Kilometer und 2300 Höhenmeter, und doch weiß ich, dass der schwierige Teil gleich beginnt.

Der Col de Turini mit einem 1300 m hohen Anstieg bis zu seinem Gipfel. Meine Route führt mich durch Sospel. Hier erlaube ich mir eine kurze Pause einzulegen, um einen Bissen zu essen. Es ist erst kurz nach 11 und ein Pan Bagna bietet die perfekte Kombination aus Energie und Hausmannskost, bevor es in Richtung Route Moulinet weitergeht, dem Zwischenabschnitt des längsten Anstieges dieses Tages. Ich habe viel Glück, dass das Wetter für Juni sehr mild ist und dass die paar Wolken, die über den Bergausläufern schweben, nicht bedrohlich aussehen.

Als ich am Notre Dame de la Menour vorbeifahre, erinnert die Umgebung ein wenig an ein Märchen, da diese kleine Kirche aus dem 15. Jahrhundert auf der Spitze eines steilen Berghangs, 780 m oberhalb des Bévéra-Tals thront. Als ich mich der Spitze nähere, setzt plötzlich Müdigkeit ein und ich fühle wie das Lactat beginnt, sich in meinen Muskeln zu bilden, doch zwinge ich mich weiterzufahren. Die Lärchen spenden mir angenehme Frische, und die Stille wird lediglich durch das Gezwitscher der Vögel unterbrochen. Nur noch ein paar Tritte in die Pedale, dann bin ich an der Spitze des Turini und habe 105 km und 3600 Höhenmeter geschafft. Es ist ein Uhr nachmittags.

Die Route des letzten Anstiegs verläuft durch das Vésubie-Tal. Die Landschaft erinnert stets an die katastrophale Überschwemmung im November 2020. Die Täler erholen sich langsam, allerdings ist das ein Prozess, der wohl eher Jahre als Monate braucht. Meine Augen weiten sich, als ich an den Häusern am Flussbett vorbeifahre, die Haus für Haus aufgerissen sind.

Der Col de la Madone d’Utelle ist mein letzter Anstieg für diesen Tag. Ein schöner Ausgang, bevor mein einsames Abenteuer sich dem Ende zuneigt. Der Madone wird zu oft von den örtlichen Fahrern unberücksichtigt, da man auf der gleichen Straße hin- und zurückfährt. Dafür verdient es die Aussicht mindestens zweimal bestaunt zu werden. Ich steige kontinuierlich, und als ich aus dem Kastanienwald auftauche, eröffnet sich das Land eines verlassenen Plateaus, das einer Sandsteinwüste ähnelt und ein unglaubliches Panorama mit einer Aussicht über den ganzen Weg bis zum Meer bietet. Die kleine Kapelle, die auf der Bergspitze steht, wirkt wie eine Belohnung. Endlich kann ich nach einem Gesamtanstieg von 4600 m meine Beine wieder spüren. Ich verweile einen kleinen Moment, bevor ich wieder nach Hause fahre.

Als ich wieder am Café ankomme, zeigt mein Computer 5033 erklommene Höhenmeter, wobei ich eine Strecke von 202 km zurückgelegt habe. Nicht schlecht für eine Radsport-Tour, die etwas über neun Stunden gedauert hat. Der Barista reicht mir ein Willkommensglas Wasser sowie 5 kleine Abzeichen in strahlenden Farben. Ich greife nach beidem mit einem warmen Lächeln, obwohl ich mich vielleicht nächstes Mal eher daran halten werde, mir nur ein Abzeichen pro Tour zu verdienen.

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