Winter on the slopes of Mont-Ventoux

Am 7. Juli raste Wout van Aert die Nordseite des Mont Ventoux auf der Talfahrt in Richtung Malaucène herunter. Dort riss er bei seinem Sieg die Arme hoch, nachdem er zweimal am gleichen Tag den „Giganten der Provence“ auf dieser zermürbenden Etappe der Tour de France erklommen hatte. An diesem Tag hatte die Sonne bereits die Zuschauer in ihrer Hitze gebadet. Tausende Radsportler waren die Straßen des Ventoux hinaufgefahren, um das Peloton an diesen heißen Julitagen vorbeifahren zu sehen.

Heute, an diesem Wintermorgen ist die Sonne noch nicht aufgegangen, als wir Malaucène durchqueren. Alles ist völlig anders. 15 km weiter aufwärts auf dem Parkplatz von Mont Serin, einem der beiden Skiorte des Ventoux, schnallen wir unsere Tourenskier an. Mit dem Fahrrad den Ventoux über die Route ausgehend von Malaucène zu erklimmen, ist ein Klassiker. Allerdings ist das Erlebnis etwas unverwechselbarer auf Skiern.

Im Winter hat der Mont Ventoux die Erscheinung eines hohen, furchterregenden Berges, dessen Gipfel für sechs Monate im Jahr für den Verkehr gesperrt ist. Im April 2021, drei Monate bevor der ganze Tross der Tour de France hier seinen Besuch abstattete, suchte eine Kaltwetterfront Frankreich heim, wobei Temperaturen von -30 °C am Gipfel des Ventoux gemessen wurden. Im Französischen bedeutet „venteux“ windig, und so geißelt der Wind den Giganten der Provence jeden Winter besonders mit den Mistral-Winden. Am 19. November 1967 wurde hier die bisher höchste Windgeschwindigkeit von 320 km/h gemessen – gewaltiger als ein Tornado. Diese andere Seite des Ventoux ist unter den Radsportlern, die weltweit vom Ventoux begeistert sind, weit weniger bekannt.

Im 17. Jahrhundert konnten die Bewohner dieser Region dieses extreme Klima für sich nutzen. Auf der Südseite des Ventoux sammelten die Bauern von Bédoin, ausgestattet mit Hacken und Schaufeln, Schnee und Eis von rund 1000 Metern oberhalb des Dorfes und lagerten es in einer ausgeklügelten Schneegrube. Das nahegelegene Avignon, die „Stadt der Päpste“, verlangte nach einem Gut, das damals nur schwer herzustellen war: Eis. In der Gegend um das Mittelmeer im Süden Frankreichs, wurden Fisch und Fleisch weder gepökelt noch geräuchert. Deshalb war damals das Eis die einzige Weise die Waren frisch zu halten. Frische Speisen zu essen und kalte Getränke zu trinken war das Privileg der oberen Schichten. Eis hat auch heilende Eigenschaften. Es kann dabei helfen, Blutungen zu stoppen sowie Schmerzen und Bauchbeschwerden zu lindern.

In Avignon, am Palace des Papes gab es Kühleinrichtungen unter den gewaltigen Kellergewölben, um das kostbare Gut zu schützen. Alle Städte in der Umgebung, wie etwa Carpentras, Orange, Nîmes, Montpellier etc., profitierten von der Versorgung mit Eis vom Mont Ventoux. Das Ventoux-Eis wurde auf dem Rücken von Mauleseln transportiert, jedoch konnten bis zu 50 % des Volumens während des Transports verlorengehen. Erst viel später wurden Bahnlinien errichtet, um diese Ware für jeden zugänglicher zu machen. Allerdings wurde mit dem Erscheinen von Kühlschränken zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Geschäft mit dem Ventoux-Eis hinfällig.

Die Radsportler, die von der Bédoin-Seite genauso wie die, die von Malaucène ausgehend den Gipfel erreicht haben, wissen, wie felsig seine Hänge auf der kargen, mondähnlichen Landschaft vor dem Gipfel ist. Während wir den schneebedeckten Weg auf Skiern überqueren, kommen wir an Skiliften und markierten Pfaden vorbei. Die bloße Idee, hier zwei Skiresorts zu errichten, erscheint gelinde gesagt absurd. Diese Skipisten abseits der asphaltierten Straßen benötigen eine dicke Schneedecke und einwandfreie Bedingungen, damit man hier auf Skiern fahren kann. Jedoch trübt das unser Vergnügen nicht.

"Als wir erfolgreich am Gipfel ankommen, beträgt die Temperatur -1 °C. Es ist noch früh am Tag und ein paar Schneeflocken wirbeln in der Luft herum, als es zu schneien beginnt. Die berühmten rotweißen Pfosten sind im dichten Nebel unmöglich auszumachen. Am Gipfel ist es menschenleer, und keiner konkurriert mit uns, um das glorreiche Selfie am beliebten Mont Ventoux Schild zu schießen.

Die Kälte schmerzt in unseren Fingern, als wir unsere Skischuhe enger schnallen, um die 6 km lange Talfahrt anzugehen. Indes erreichen unsere Skier eine vernünftige Geschwindigkeit, was uns etwas überrascht. Der Ventoux ist bedenklich steil und der Anstieg verlangte stets aus gutem Grund eine besondere Anstrengung."

In fünf Monaten wird der Schnee verschwunden sein, die Sonne wird den Wald erwärmen und die Natur aus ihrem Winterschlaf erwachen. So wird sich der Ventoux in seine Sommerversion verwandeln, und seine Routen wieder für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Die Rennräder werden wieder ihr immer andauerndes Ballett in diesem großartigen Universum aufführen, und die Radsportler können ihre Kräfte am Giganten und besonders untereinander messen.

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